Der 1913 in Betrieb genommene und 1995 stillgelegte Gasometer Schöneberg, Berliner Wahrzeichen und bauliches Symbol des Energiewendestandorts EUREF-Campus, wird mittels denkmalgerechter Sanierung und modernem Ausbau einer neuen Funktion zugeführt. Das Bauunternehmen WOLFF & MÜLLER und seine Partner erlauben einen Blick hinter die Kulissen des herausfordernden Projektes.
Artikel vom 26. Mai 2023: Die Grundsteinlegung für das Revitalisierungs- und Ausbauvorhaben wurde am 24. August 2021 gefeiert. Die Rohbauarbeiten am neuen Bürogebäude wurden Ende 2022 abgeschlossen. Das Richtfest am 05. Mai 2023 begangen. Bereits seit 2009 wurde der grüne Stahlsockel des 1995 stillgelegten Gasometers als multifunktionaler Veranstaltungsort des EUREF-Campus, eines bundesweit einzigartigen Reallabors der Energiewende und Modellquartiers für die klimaneutrale, ressourcenschonende und intelligente Stadt von morgen, betrieben.
Das ist am Gasometer Schöneberg geplant
Dieser zentrale Konferenzbereich wird auch nach dem Ausbau wieder als Forum des Campus genutzt werden. Darüber jedoch entsteht ab einer Höhe von 16 Metern aufwärts ein zwölfstöckiges Bürohaus mit rund 28.000 Quadratmetern Nutzfläche. Hier werden ab 2024 rund 2.000 Menschen am Projekt „Digitale Schiene“ der Deutschen Bahn arbeiten. Außerdem entsteht auf der obersten Etage eine Skylounge mit öffentlich zugänglicher Terrasse, inklusive Blick über Berlin aus rund 66 Metern Höhe.
Für den Innenausbau des Gasometers wurden 200 Millionen Euro veranschlagt. Die historische Stahlstruktur des von 1908 bis 1910 errichteten Bauwerks wird unter Einsatz von Sandstrahltechnik denkmalgerecht saniert und bleibt erhalten. Aus Respekt vor dem Industriedenkmal wird der gläserne Neubau dem einst auf- und abfahrenden Gasbehälter nachempfunden. Das historische Stahlgeru?st dient dabei als Rahmen für den runden Neubau. Die größtenteils gläserne Fassade wird eine hohe Lichtdurchlässigkeit des Gebäudes sicherstellen.
Die Herausforderungen des Bauprojektes am EUREF-Campus
Wie schaffen es Bauprofis, eine komplette Glasfassade durch einen 1,20 Meter schmalen Spalt einzubauen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die es beim Innenausbau des denkmalgeschützten Gasometers in Berlin-Schöneberg zu klären galt. Was das Gasometer aus Sicht des Bauunternehmens WOLFF & MÜLLER und seiner Partner so besonders macht, zeigt der folgende Überblick:
Material und Arbeitszeit für den Gasometer
Insgesamt wurden im Projekt 22.000 Kubikmeter Beton verbaut; das entspricht 55.000 Tonnen beziehungsweise 2.900 Betonfahrmischern. Dazu kommen 4.300 Tonnen Betonstahl. Die Fassade aus vorgefertigten Glaselementen ist 12.600 Quadratmeter groß und hat ein Gesamtgewicht von 790 Tonnen. Die schwerste Glasscheibe wiegt 633 Kilogramm. Addiert man alle einzelnen Sonnenschutzlamellen, kommt man auf eine Länge von 669,7 Kilometern. In dem Bauwerk stecken rund 600.000 Arbeitsstunden. Aktuell kommen jede Woche rund 10.000 Stunden hinzu. Bis zu 250 Handwerker in bis zu 60 Gewerken sind derzeit täglich auf der Baustelle im Einsatz.
Sanierung und Neubau auf einen Streich
Zum einen wird das historische Stahlgerüst, das einst einen Gasspeicher trug, saniert. Zum zweiten entsteht im Inneren des Gerüstes ein Bürogebäude. Während der Neubau in die Höhe wächst, wird das Stahlskelett mithilfe von Sandstrahltechnik entschichtet und bekommt einen komplett neuen Korrosionsschutz. Dass beide Teilprojekte parallel ablaufen, ist eine Besonderheit der Baustelle. Entsprechend viele Arbeiten und Personen gilt es gleichzeitig zu koordinieren.
Hoch und nieder, immer wieder
Der Neubau ist von außen nicht frei zugänglich, sondern von dem rund 78 Meter hohen Gasometer-Stahlgerüst umschlossen. Entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich der Transport der Baumaterialien. Um den vertikalen Material- und Personentransport sicherzustellen, ist eine komplexe Hochlogistik erforderlich. Im Inneren des Neubaus gibt es zwei leistungsfähige Bauaufzüge. Mithilfe eines Online-Buchungssystems können die beteiligten Firmen Zeitfenster für die Nutzung buchen. Jede Fahrt wird von einem Aufzugführenden überwacht. Ein Logistik-Polier hat die Gesamtübersicht.
Glas auf Schienen für die Außenfassade
1,20 Meter: So gering ist der Abstand zwischen dem Stahlskelett und dem Rohbau des neuen Bürogebäudes. Durch diesen schmalen Spalt mussten sämtliche Elemente der 12.600 Quadratmeter großen Außenfassade bis zu 65 Meter hoch an die richtige Stelle gehoben und geschoben werden. Speziell für das Gasometer haben der Fassadenbauer FKN Gruppe und WOLFF & MÜLLER eine Lösung entwickelt: Jedes Element wurde ebenerdig auf ein kreisrundes Schienensystem innerhalb des Zwischenraumes gehoben. Der elektrische Fahrwagen fuhr die Elemente rund um das Gebäude bis zum richtigen Montageort, wo sie von einem Minikran in die Höhe gezogen wurden.
Sprengwerke mit tragender Rolle zur Erhaltung des Konferenzbereiches
Der untere Bereich des neuen Gasometers soll auch künftig als Konferenzbereich dienen. Damit der 12 Meter hohe Saal stützenfrei bleiben kann, hat das Bauteam sogenannte Sprengwerke gebaut. Massive schräge Streben aus Stahlbeton leiten die Lasten aus den Stützen der Obergeschosse in angrenzende Bauteile ab. Dabei muss über jedes Sprengwerk eine Last von 1.480 Tonnen umgelenkt werden. Die aufwändigen Konstruktionen befinden sich oberhalb des großen Saals innerhalb der hier angeordneten Lüftungszentralen.
BIM: Erst digital, dann real
Alle Planungspartner haben, koordiniert von WOLFF & MÜLLER, mit Building Information Management (BIM) gearbeitet. Dazu wurde vor dem ersten Spatenstich ein virtuelles Modell des Bauwerks erstellt. BIM bedeutet ein besseres Informationsmanagement, denn der digitale Zwilling ist die Basis für die gesamte Kommunikation, Koordination und Kollaboration im gesamten Projektteam. Damit werden Planungsänderungen in einem bestimmten Gewerk oder auch Kollisionen zwischen verschiedenen Gewerken sofort für alle Beteiligten sichtbar. Wird der Terminplan mit dem Modell verknüpft, kann der gesamte Bauablauf simuliert werden. Alle Details lassen sich mit BIM dreidimensional betrachten und so viel einfacher als mit herkömmlichen 2D-Plänen besprechen.
Lean Management wider die Verschwendung
Auch die Philosophie des Lean Management kommt beim Gasometer zur Anwendung. Es geht darum, fortlaufend Prozesse zu verbessern und die gesamte Wertschöpfungskette schlank und effizient zu gestalten. Weder Zeit noch Ressourcen sollen verschwendet werden. Das Projektteam nutzt verschiedene Anwendungsfälle, die auf dem Lean-Prinzip basieren. Eine davon ist das Last Planner System. Dabei werden alle Baupartner aktiv und gemeinschaftlich in die detaillierte Terminplanung eingebunden: Da jedes Gewerk in seinem Bereich die größte Erfahrung hat, verteilt die Bauleitung keine fertigen Terminpläne, sondern erarbeitet sie tagesgenau gemeinsam mit den Baupartnern.
So geht es weiter am Gasometer Schöneberg
Ab jetzt konzentriert sich WOLFF & MÜLLER auf den Ausbau der Büroetagen. „Auch hier bedienen wir uns der Lean-Arbeitsmethodik. Die Taktplanung und die Taktsteuerung sind maßgeschneidert für die sich ähnelnden Etagen. Wir haben diese detailliert ausgearbeitet und mit unseren Baupartnern abgestimmt. Im Wochenrhythmus arbeiten die Firmen ihre zugewiesenen Bereiche ab. Durch diese Anwendung, die eintretende Verbesserung und auch die kurzzyklische Baufortschrittskontrolle haben wir die Qualität, die Kosten und den Zeitplan voll im Griff“, erklärt Lars Mörke, Oberbauleiter beim Gasometer. Anfang 2024 soll der Neubau an die EUREF AG übergeben werden.
Innenausbau am Gasometer Schöneberg pünktlich beendet
Update vom 01. Februar 2024: Der Innenausbau des Gasometers war das finale Bauvorhaben auf dem EUREF-Campus Berlin. Gestern wurden die 28.000 Quadratmeter Bürofläche pünktlich an die Deutsche Bahn übergeben. Die Deutsche Bahn wird in den kommenden Wochen mit bis zu 2.000 Mitarbeitern in das Gebäude einziehen und von hier aus die Digitalisierung der Schiene vorantreiben.
Die Neugestaltung des Gasometers orientierte sich an dem historischen Bild des im Inneren des Gerüsts auf- und abfahrenden Teleskopbehälters des Niederdruckgasbehälters. Das graue, historische Stahlgerüst fungiert nun, mit einem Respektabstand von einem Meter, als Rahmen für den runden Neubau. Es ist damit in seiner Pracht erhalten und sichtbar geblieben und wurde zeitgleich zum Bau denkmalgerecht in Stand gesetzt.
Der grüne Stahlmantel, also der untere Teil des Gasometers, wird wieder zum Konferenzbereich / zum Forum des EUREF-Campus. Dieser wird am 24. und 25. Juni 2024 mit dem Tag der Industrie, der Zukunftskonferenz des BDI, eröffnet. In der oberen Etage entsteht hinter der Stahl-Glas-Fassade Raum für Präsentationen und Events sowie eine Dachterrasse – inklusive Blick über Berlin aus rund 66 Metern Höhe. Mehr als 200 Millionen Euro hat das pünktlich übergebene Projekt gekostet.