Das Statistische Landesamt prognostiziert Leipzig in den nächsten zehn Jahren ein Bevölkerungswachstum auf bis zu 660.000 Einwohner. Um die Mieter vor dramatisch steigenden Mieten zu schützen, hat der Stadtrat am 17. Juni 2020 in einzelnen Stadtteilen für sechs Gebiete den sogenannten Milieuschutz beschlossen. Weitere zwei Gebiete wurden im März 2022 zu sozialen Erhaltungsgebieten erklärt. Aktuell prüft die Stadt, ob drei weitere Gebiete mit sozialer Erhaltungssatzung hinzukommen sollen.
Artikel vom 20. Juni 2020: Es war eine lange und kontroverse Diskussion, am Ende setzte sich die Mehrheit durch: Mit den Stimmen von Linken, Grünen, SPD und Piraten hat der Leipziger Stadtrat am 17. Juni 2020 in sechs Stadtgebieten eine sogenannte Milieuschutzordnung beschlossen. Sie gilt für Wohngebiete in Connewitz, Eutritzsch, Lindenau und Alt-Lindenau sowie die Gebiete rund um die Eisenbahnstraße und den Lene-Voigt-Park. Dort leben etwa 48.000 Haushalte. Bestimmte bauliche Veränderungen von Bestandsgebäuden bedürfen in diesen Gebieten künftig einer Genehmigung des Rathauses. Dagegen stimmten die Fraktionen von CDU, AfD und FDP, weil ihrer Ansicht nach Investoren verschreckt werden.
Die Bekanntmachung der „Satzung zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“, so der offizielle Name der Milieuschutzordnung, ist für den 4. Juli 2020 im Leipziger Amtsblatt vorgesehen. Dann erhält sie Rechtskraft. Die Satzung muss alle zwei Jahre neu geprüft werden. Zudem muss die Stadtverwaltung den Stadtrat halbjährlich über abgelehnte Genehmigungen und Nutzungsänderungen in Kenntnis setzen.
Leipziger Milieuschutz: Kriterienkatalog zurückgestellt
Noch nicht geklärt sind die genauen Genehmigungskriterien. Die Beschlussfassung darüber wurde zurückgestellt. Es soll noch einmal in den Ausschüssen darüber gesprochen werden. Im Gespräch sind luxuriöse Ausstattungen wie sehr große Balkone, marmorfliesen und beheizbare Handtuchhalter, ebenso wie Videosprechanlagen und zweite Badezimmer.
Oberbürgermeister Burkhard Jung betonte mit Blick auf die Kriterien, dass diese auch im „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ weitgehend unkritisch waren. Lediglich zum Verbot der Videogegensprechanlagen sowie bestimmter Grundrissänderungen hätte es von Haus&Grund und der Immobilienwirtschaft Kritik gegeben. Außer Haus&Grund (Enthaltung) hätten am Ende jedoch alle zugestimmt.
Vorkaufsrecht wird finanziell untersetzt
Die Stadt plant die Nutzung des Vorkaufsrechts in den Milieuschutzgebieten. Hierzu gebe es bereits Abstimmungen zwischen dem Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung und dem Liegenschaftsamt. Zum einen sei geplant, das Recht selbst zu nutzen. Zum anderen kündigte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau ein Interessenbekundungsverfahren an, bei dem Dritte ihr Interesse zum Einstieg in Kaufverträge äußern können. Es ist davon auszugehen, dass sich diese an bestimmte Kriterien binden müssen, um den Entscheidungsprozess zur Ausübung abzukürzen. So könnte die Stadt sehr zügig das Vorkaufsrecht auch für Dritte ausüben.
Gleichzeitig kündigte Dorothee Dubrau an, dass auch Abwendungsvereinbarungen eine Rolle spielen würden. Hierbei verpflichten sich Käufer in Milieuschutzgebieten, bestimmte Maßnahmen zu unterlassen, etwa besondere Mieterhöhungen, Umwandlungen in Eigentum, Sanierungen. Bei Zeichnung einer solchen Vereinbarung mit der Stadt würde diese im Gegenzug auf den Vorkauf verzichten.
Bisherige Aufstellungsbeschlüsse (fast alle) aufgehoben
Mit Ausnahme des Aufstellungsbeschlusses für das Zentrum-West (Waldstraßenviertel/Bachstraßenviertel) hat der Stadtrat mit Beschlussfassung über die „Erhaltungssatzungen“ auch die Aufstellungsbeschlüsse aufgehoben. Mit Bekanntmachung im Amtsblatt am 4. Juli 2020 gelten – sofern kein Satzungsgebiet – dort keine Milieuschutz-Einschränkungen mehr.
Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau kündigte an, dass auch der noch verbliebene Aufstellungsbeschluss aufgehoben werde. Eine entsprechende Vorlage ist bereits im verwaltungsinternen Beratungslauf.
Neue Aufstellungsbeschlüsse bis Herbst
Ebenfalls im Stadtrat beschlossen: Für Teilbereiche von Leutzsch und Alt-Lindenau sowie des südlichen Plagwitz und des nördlichen Kleinzschocher soll die Stadtverwaltung dem Stadtrat bis Oktober 2020 Aufstellungsbeschlüsse für weitere Milieuschutzsatzungen vorlegen. Die Gebiete waren von den Gutachtern der aktuellen Milieuschutzsatzung als potentielle Erweiterungsgebiete identifiziert worden.
Zwar wurden diese Bereiche bereits untersucht, jedoch war der Rücklauf der Haushaltsbefragung zu gering, um auf der Datenbasis eine entsprechende Datenanalyse zu machen. Es ist davon auszugehen, dass daher sowohl die bisher untersuchten Bereiche als auch die Erweiterungsflächen mit einem Aufstellungsbeschluss überzogen werden.
Anders als für Leutzsch/Alt-Lindenau und Plagwitz/Kleinzschocher hat der Stadtrat es abgelehnt, auch für Bereiche in Eutritzsch, Lindenau und rund um den Lene-Vogt-Park bis Oktober Aufstellungsbeschlüsse zu fassen. Auch hier waren von den Gutachtern potentielle Erweiterungsflächen identifiziert worden.
Das Netzwerk „Stadt für alle“ hatte unlängst Aufstellungsbeschlüsse für Kleinzschocher und Schönefeld-Abtnauendorf sowie „womöglich auch für Mockau-Süd, Möckern und Wahren“ gefordert.
SPD: Gewerbe-Milieuschutz wäre schön
Die SPD hat den Oberbürgermeister aufgefordert, sich für eine Ausweitung des Milieuschutzes auch auf Gewerbe einzusetzen. Dieser betonte, dass hierzu ein Bundesgesetz geändert werden müsse. Aber zum Milieu gehörten, so stimmte er dem Ansinnen seiner Parteifreunde zu, eben auch Handwerker, Freiberufler oder „der Notar“.
Stadt Leipzig plant vier weitere Milieuschutzgebiete
Update vom 17.09.2020: Die Stadt beabsichtigt, vier weitere Gebiete in Leipzig zum Milieuschutzgebiet zu ernennen. Dabei handelt es sich um:
- Plagwitz/Kleinzschocher: das Gebiet wird von der Makranstädter Straße, der Limburgerstraße und der Zschocherschen Straße im Norden begrenzt, im Osten bilden die Weiße Elster und im Süden und Westen die Bahnlinie die Grenze.
- Neulindenau: gemeint ist das Gebiet zwischen der Gröpplerstraße, den S-Bahn-Gleisen, Antonienstraße, Brüner Straße, Lützner Straße und Plautstraße.
- Leutzsch: das Gebiet wird im Norden vom Ritterschlößchen und Bahngleisen, im Süden von der Merseburger Straße, im Westen von der Hupffeld-Straße und im Osten von der Georg-Schwarz-Straße und der Rathenaustraße begrenzt.
- Umfeld der Paul-Küstner-Straße: das Gebiet wird umrahmt von der William-Zipperer-Straße, der Prießnitzstraße, der Rietschelstraße und der Erich-Köhn-Straße.
Diese vier Gebiete werden 2021 Detailanalysen der jeweiligen Wohnsituationen stattfinden. Die Datengrundlage werden Haushaltsbefragungen liefern.
Neue Milieuschutzgebiete stehen fest
Update vom 15. März 2022: Der Leipziger Stadtrat hat die Gebiete Plagwitz/Kleinzschocher und Leutzsch zu Milieuschutzgebieten erklärt.
Leipzig prüft Einrichtung neuer Gebiete mit sozialer Erhaltungssatzung
Update vom 20. März 2024: Gegenwärtig prüft die Stadt Leipzig, ob in drei weiteren Wohngebieten eine so genannte Soziale Erhaltungssatzung erlassen werden / eine Erklärung zum Milieuschutzgebiet erfolgen kann. Aus diesem Anlass wird das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung gemeinsam mit dem Büro Landesweite Planungsgesellschaft Berlin ab Ende März rund 10.700 Fragebögen an zufällig ausgewählte Bewohner der Südvorstadt sowie von Gohlis-Süd und Schönefeld-Abtnaundorf versenden.
In diesen Stadträumen sieht die Stadt ein hohes Potential für die Aufwertung von Wohnraum, was aus ihrer Sicht die Gefahr einer Verdrängung der dort ansässigen Bevölkerung mit sich bringt. Die Befragung soll diesen Zusammenhang näher untersuchen. Das Ziel einer Sozialen Erhaltungssatzung besteht darin, zu verhindern, dass Bewohner durch ungeeignete, überteuerte Sanierungen oder die Umnutzung von Wohnungen aus ihren Stadtvierteln wegziehen müssen. Wohnraum darf in diesen Gebieten nur bis zu einem durchschnittlichen Standard modernisiert werden. Darum müssen etwa bauliche Änderungen vorab von der Stadt genehmigt werden.