Ob Sachsens größte Stadt durch mehr Regulierung oder durch das freie Spiel des Marktes zu mehr bezahlbarem Wohnraum kommt, dazu äußerten Kommunalpolitiker und Immobilienunternehmer beim Leipziger Immobiliengespräch von IMMOCOM kontroverse Ansichten.
Die Lage ist herausfordernd: Leipzig braucht mehr Wohnraum, vor allem mehr bezahlbaren. Die Bevölkerung der Messestadt ist 2022 auf 625.000 Einwohner angewachsen, und alle Prognosen gehen von weiterem Zuzug aus. „Das macht Leipzig weiterhin sehr interessant für Projektentwickler und Investoren“, konstatierte Dr. Ingo Seidemann, Vorstandsvorsitzender des BFW Landesverbands Mitteldeutschland e.V. Die Kehrseite der Medaille sei, dass die starke Wohnungsnachfrage zu sinkenden Leerstandsquoten, steigenden Mieten und immer weniger bezahlbarem Wohnraum führe. „Ausgerechnet in dieser Situation kommt der Bauboom zum Erliegen“, so Dr. Ingo Seidemann weiter. Seit 2021 gehe die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in Leipzig erstmals wieder zurück. Die Gründe hierfür reichten von der Mietpreisbremse über gestiegene Baukosten bis hin zu immer komplexeren Auflagen und langwierigeren Genehmigungsverfahren.
Letzteres – langsame Verwaltungsabläufe – benannte auch Christoph Schall als Ärgernis. Der Bereichsleiter Energielösungen der Stadtwerke Leipzig GmbH berichtete, wie sein Unternehmen die Herausforderungen der Energiekrise genutzt hat, um Prozesse und Entscheidungen zu beschleunigen. „Wir arbeiten heute wie ein Start-up. Die Teams, die Ahnung haben, treiben die Projekte voran. Ich würde mich freuen, wenn wir auch in der Gesellschaft die Projekte schneller voranbringen könnten.“ Damit spielte er den Ball den Vertretern der sechs Fraktionen des Leipziger Stadtrats zu (AfD, CDU, Freibeuter, Grüne, Linke, SPD).
Ist Regulierung nötig, um den Mietpreisanstieg zu dämpfen?
Franziska Riekewald, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Die Linke, rechtfertigte die Eingriffe der Politik in den Wohnungsmarkt. „Wir brauchen keine neuen Wohnungen im oberen Preissegment, die sich keiner leisten kann“, sagte sie. „Deshalb müssen wir regulierend eingreifen, um den Preisanstieg zu dämpfen.“ Aus Sicht der Linken-Politikerin sei in den letzten Jahren vieles nicht gut gelaufen. In Leipzig werde am Bedarf vorbeigebaut, der Markt habe versagt.
Dieser Einschätzung widersprach Dr. Reiner Braun, Vorstand des Forschungs- und Beratungsinstituts empirica AG: „Es ist kein Marktversagen, wenn die Preise steigen. Hohe Preise zeigen Knappheit an. Die Mieten steigen, weil weniger gebaut wird.“ In der Folge sinken die Leerstandsquoten, was ebenfalls zu Mietanstieg führt. Dieser fällt zwar niedrig aus, solange die Leerstandsquoten hoch sind. Sinken diese jedoch unter die Zwei-Prozent-Marke, steigen die Angebotsmieten exponentiell an. Das haben Untersuchungen der empirica AG in allen 400 Landkreisen und kreisfreien Städten ergeben. Leipzig ist von diesem Kipppunkt nicht mehr weit entfernt. Die Leerstandsquote beträgt aktuell rund 2,5 Prozent.
Immobilienunternehmer fordern mehr Markt statt mehr Regulierung
Was also tun, damit mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht? Immobilienunternehmer und GRK-Inhaber Steffen Göpel sprach sich leidenschaftlich gegen überbordende Regulierung und für das freie Spiel das Marktes aus. An die Stadträte gewandt sagte er: „Würden Sie alle Bauträger bauen lassen, würden die Mieten sinken.“ Er erinnerte an die Sonder-Afa in den 1990er-Jahren. Diese habe dazu geführt, dass über den Bedarf hinaus gebaut wurde, mit der Folge, dass die Mietpreise fielen. Außerdem wies er den Vorwurf zurück, es werde am Bedarf vorbei gebaut: „Würden wir das tun, wären wir pleite.“ Mit Blick auf langwierige Entscheidungs- und Genehmigungsverfahren sagte Steffen Göpel: „Wir hatten früher eine Stadtverwaltung, die viel gelöst hat. Jetzt erleben wir eine große Regulierungswut.“
Dem hielt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Tobias Peter, entgegen: „Es gibt keinen Markt, der ohne Regulierung funktioniert.“ Die Verwaltung müsse verschiedene Interessen ausbalancieren. Das bedeute zum Beispiel, Wohnungsbau und Eidechsen gleichwertig zu betrachten. Selbstkritisch äußerte sich CDU-Fraktionsvorsitzender Frank Tornau: „Wir Stadträte müssen uns an die eigene Nase fassen. Das Bauen wird immer schwieriger, weil wir es immer schwieriger machen. Wir sollten das Korsett lockern.“ Eine ähnliche Position vertrat AfD-Stadtrat Udo Bütow: „Wir müssen den Bezug zur Praxis wiederherstellen. Das kriegen wir bislang zu wenig hin.“
Mehr Praxisbezug in der Verwaltung, das ist auch im Sinne der Immobilienbranche. Die Bitte von GRK-Inhaber Steffen Göpel an die Leipziger Stadträte lautete daher: „Korrigieren Sie Ihr Freund-Feind-Bild, damit wir die gesellschaftlichen Ziele gemeinsam erreichen, und lassen Sie uns zur Aufbruchsstimmung zurückkehren.“
Das Leipziger Immobiliengespräch fand am 6. März 2023 statt und wurde von rund 200 Marktakteuren und weiteren Gästen besucht. Weitere Immobilien-Events der IMMOCOM.