Unter welchen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind Seilbahnen ein alternatives Verkehrsmittel für den öffentlichen Nahverkehr? Und welche Effekte ergeben sich daraus für die bestehende Stadtstruktur wie auch für neu zu entwickelnde Stadtquartiere? Diese Fragen untersucht eine aktuelle Studie des Projekt- und Gebietsentwicklers BPD (Bouwfonds Immobilienentwicklung) gemeinsam mit der Hochschule Darmstadt und dem Architekturbüro UNStudio aus Amsterdam.
Seilbahnen und nachhaltige Stadtentwicklung: Internationale Beispiele weisen den Weg
Während die meisten Menschen Seilbahnen zuallererst als wichtigstes Beförderungsmittel für Touristen und den bequemen Weg zum nächsten Gipfel kennen, erfüllen sie an vielen Orten eine alltägliche Funktion als vollwertiger Bestandteil des ÖPNV. Dabei muss der Blick nicht einmal nach Übersee reichen. Auch in Europa gibt es aktuelle Beispiele von bereits erfolgreich betriebenen, in Planung befindlichen oder auch nicht realisierten Projekten. In Toulouse befindet sich seit 2022 die längste städtische Seilbahn in Betrieb, in London verbindet eine Seilbahn bereits seit 2012 die Stadtteile Greenwich und Docklands. In Bonn sind die Planungen für eine urbane Seilbahn angelaufen, während in Göteborg die Planungen für eine Seilbahn nicht weiter verfolgt werden.
Han Joosten, Leiter Gebietsentwicklung bei BPD: „Ziel ist es doch, unsere Städte nachhaltig, resilient und sozial gerecht zu entwickeln – gerade im Hinblick auf steigende Einwohnerzahlen, demografische Entwicklung und Klimawandel. Zentraler Baustein dabei ist der Mobilitätswandel. Wir benötigen einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr, der zugleich klimaneutral, barrierefrei und sicher ist. Welchen Beitrag urbane Seilbahnen dazu leisten können, das wollten wir genauer unter die Lupe zu nehmen.“
Urbane Seilbahnen als Mobilitätslösung in Deutschland angekommen
Die positive Tendenz bei der Nutzung von Seilbahnen als alltägliches und klimaneutrales Mobilitätsmittel ist erkennbar. Die urbane Seilbahn ist auch in Deutschland in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus gerückt. Das hat jüngst auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) erkannt und im Herbst 2022 einen Handlungsleitfaden für Kommunen und Verkehrsverbünde vorgestellt, um die Integration von Seilbahnen in die urbane Mobilität zu fördern. Durch eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen sind urbane Seilbahnen einem Einsatz als innovative Mobilitätslösung sehr nahe.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing zur Veröffentlichung des Leitfadens: „Seilbahnen sind ein zuverlässiges, bewährtes und nachhaltiges Verkehrsmittel. Urbane Seilbahnen können Hindernisse wie Hügel, Flüsse oder Trassen überwinden, Lücken im ÖPNV-Netz schließen, bestehende Linien verlängern und neue Wohn- oder Gewerbegebiete anbinden. Sie sind klimafreundlich und platzsparend. Mit unserem Leitfaden geben wir Kommunen, die dieses Potenzial nutzen wollen, konkrete Hilfestellung bei der Realisierung von Projekten - von der Idee über die Planung und den Bau bis zum Betrieb. Er zeigt, wie urbane Seilbahnen auch in Deutschland eingesetzt und in das Nahverkehrsnetz integriert werden können.“
Die positiven „Seilbahneffekte“
Auf der Grundlage von Workshops sowie Interviews mit Experten aus der Stadt- und Verkehrsplanung, aus Verwaltung und Politik, von Seilbahnherstellern und -betreibern sowie Bürgern definiert die Studie des Projekt- und Gebietsentwicklers BPD in Zusammenarbeit mit der Hochschule Darmstadt und dem Architekturbüro UNStudio eine Vielzahl positiver Auswirkungen und Eigenschaften von urbanen Seilbahnen:
- Urbane Seilbahnen können eine Alternative zur ÖPNV-Erschließung neuer Stadtquartiere sein.
- Urbane Seilbahnen sind ein barrierefreies und nichtdiskriminierendes Verkehrsmittel.
- Seilbahnen verursachen wenig Lärm und keinerlei Luftschadstoffe, sie sind deshalb ein emissionsarmes Verkehrsmittel.
- Urbane Seilbahnen verursachen kaum Bodenversiegelung und keine geografische Trennung zwischen Stadtarealen. Sie konkurrieren nicht mit den etablierten Verkehrsmitteln um die begrenzten Verkehrsflächen in der Stadt.
- Seilbahnen können Hindernisse wie topografische Höhenunterschiede, Gewässer, Straßen, Gleisfelder oder Industrieareale problemlos überwinden.
- Der CO2-Fußabdruck einer Seilbahn ist deutlich geringer als der von konventionellen Systemen. Seilbahnen können mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
- Seilbahnen sind im Betrieb und Personaleinsatz kostengünstig und im Vergleich zu anderen Verkehrssystemen schnell zu realisieren.
- Seilbahnkabinen und -stationen stellen einen Begegnungsraum dar, in dem Kommunikation stattfinden kann.
- Knotenpunkt Seilbahnstation: Neben der Verkehrsfunktion können Geschäfte, Gastronomie und soziale Nutzungen in die Station integriert werden.
- Seilbahnstationen können in einer Quartiersmitte als wichtiger Bezugspunkt wirken und identitätsstiftend sein.
Die Expertinnen und Experten identifizierten aber auch Herausforderungen einer urbanen Seilbahn, darunter die starre Punkt-zu-Punkt-Verbindung, die Verschattung durch Kabinen sowie die Integration der Seilbahnstützen in das städtebauliche Umfeld.
Fazit: Seilbahnen als Bestandteil in urbane Mobilitätskonzepte einbeziehen
„Wie bei jedem Infrastruktur- oder Neubauprojekt ist die Partizipation der Bevölkerung bei der Planung und Umsetzung von wesentlicher Bedeutung“, so Han Joosten. „Und natürlich müssen auch Verkehrsgesellschaften und kommunale Verkehrs- und Planungsabteilungen frühzeitig in Diskussionen einbezogen werden. Das Fazit unserer Studie: Die Seilbahn sollte in Machbarkeitsstudien für urbane Mobilitätskonzepte miteinbezogen werden. Denn die Vorteile liegen auf der Hand: nachhaltig, schnelle Bauzeiten, ein relativ geringer Flächenanspruch und Stationsgebäude, die einem Stadtquartier viele Mehrwerte bietet. Was wir brauchen: Eine integrierte Planung mit einem ergebnisoffenen Ansatz und den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen.“