Pilze als Grundstoff für die Bauindustrie

Pilze als Grundstoff für die Bauindustrie

Pilze als Grundstoff für die Bauindustrie
Von Pilzmyzelen (links) hin zu Pilzplatten, aus denen bereits ein bewohnbarer Pavillon erbaut wurde. Copyright: TU Berlin

An der TU Berlin wird seit Jahren an Baustoffen aus Pilzmyzel geforscht. Inzwischen haben die Biotechnologen viele Detailfragen geklärt. Jetzt geht es um die Zulassung und Überführung in die industrielle Produktion. Ein Gespräch mit Dr. Bertram Schmidt, Mitarbeiter und Pilzforscher am Institut für Angewandte und Molekulare Mikrobiologie.

Agentur

Müssen wir noch 20 Jahre warten, bis es nachhaltige Baumaterialien aus Pilzen im Baumarkt zu kaufen gibt?

Dr. Bertram Schmidt: Wenn es nach unserem Forschungsteam geht, dann nicht. Unser Ziel ist es, Anlagen zu entwerfen und zulassungsfähige Pilzwerkstoffe in absehbarer Zeit in die Produktion zu überführen.

Was werden das für Baumaterialien sein?

Dr. Bertram Schmidt: Im Fokus unserer Forschungen stehen Plattenmaterialien mit ähnlichen Eigenschaften wie Bauplatten, aber auch Dämmmaterial für den Innenausbau sowie Verbundmaterialien. Diese können Alternativen zu herkömmlichen, nichtnachhaltigen Baustoffen wie Styropor und Mineralwolle sein.

Unser Gesprächspartner Dr. Bertram Schmidt. Copyright: TU Berlin
Unser Gesprächspartner Dr. Bertram Schmidt. Copyright: TU Berlin

Pilzemyzele als Grundstoff für Baumaterialien

Welche Grundstoffe verwenden Sie?

Dr. Bertram Schmidt: Pilze sind filamentöse, also fadenförmig wachsende Mikroorganismen. Sie bilden Fruchtkörper, aber bei uns im Zentrum steht das netzartige Myzel, das eine gewisse Stabilität und Zähigkeit hat. Wir forschen an holzzersetzenden Pilzen, deren Myzel ins Holz wächst und dort Nährstoffe aufnimmt. Dieses Myzel züchten wir im Labor auf verschiedenen organischen Materialien. Zusammen bilden sie Komposite, die leicht und relativ druckstabil sind. Wir haben bislang mit rund 40 Pilzstämmen geforscht und mit ganz unterschiedlichen organischen Materialien. Denn die Pilze wachsen unter Laborbedingungen nicht nur auf Holzspänen, sondern zum Beispiel auch auf Stroh oder Hanfschäben.

Der Zunderschwamm ist aufgrund seiner Eigenschaften unser Lieblingspilz. Als organisches Material verwenden wir gern Hanfschäben, also das zerstoßene holzige Material aus dem Inneren von Hanfstängeln. Denn dafür gibt es wenig Verwendung, außer als Pferdestreu. Für die Plattenwerkstoffe werden die Komposite getrocknet, das Myzel wirkt wie ein Kleber. Die Herstellung ist also keine Raketenwissenschaft, die Detailfragen haben es aber in sich.

Worin liegen die Herausforderungen?

Dr. Bertram Schmidt: Wenn ein Produkt industriell hergestellt und vermarktet werden soll, muss es reproduzierbare, also immer gleiche Produkteigenschaften haben. Es geht aber auch um Fragen von Brandschutz, Wasserresistenz, Widerstandsfähigkeit, Elastizität. Mit herkömmlichen, nicht nachhaltigen Lösungen ist das sicher kein Problem, wir wollen aber, dass unsere Materialien, ausschließlich nachwachsend und biologisch abbaubar sind. Deshalb können wir keine ‚Chemie‘ untermischen. Das macht es schwieriger. Man muss die Materialien nach Ende der Lebensdauer gut voneinander trennen oder das Gesamtprodukt – bildlich gesprochen – am Ende geschreddert auf dem Acker unterpflügen können.

Pilzhaus für das Jahr 2030 geplant

Es gibt eine große Erwartungshaltung. Nicht nur bei Ihnen wird daran geforscht. Doch bislang ist wenig in der Praxis angekommen.

Dr. Bertram Schmidt: Das ist richtig, denn Forschung braucht ihre Zeit, gerade wenn es um neue Materialien geht, für die es noch keine Produktionsanlagen gibt. Auch müssen Zertifizierungen komplett neu gedacht werden. Daher ist unser Ziel, ein echtes Pilzhaus im Jahr 2030 fertiggestellt zu haben. Ein weiterer Grund sind die Rahmenbedingungen. Solange erdölbasierte Baustoffe so billig sind und externe Kosten nicht eingepreist werden, sind Pilzmaterialien so schnell nicht konkurrenzfähig.

Das ist bei innovativen Dingen oft so, davon lassen wir uns nicht abschrecken. Wir forschen am Zunderschwamm weiter, der eine harte, wasserabweisende Oberfläche bilden kann. Wir wollen die Eigenschaften besser verstehen, die auslösenden Faktoren finden und steuern können. Die Biologie beeinflussen kann nicht jeder, da werden die Materialien dann noch viel interessanter. 

Für die von Ihnen genannten Verwendungen gibt es einen riesigen Markt. Wenn solche Materialien am Ende Sand, Erdöl und mineralische Rohstoffe ersetzen sollen, werden riesige Mengen an organischen Materialien gebraucht. Haben sie sich darüber Gedanken gemacht?

Dr. Bertram Schmidt: Ja, gleich zu Beginn unserer Forschung haben wir die Materialströme gemeinsam mit Experten analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir den Weg gehen wollen. Es wird Landwirtschaft gebraucht, das stimmt. Erdöl braucht die nicht. Aber wir wollen ja hin zu nachwachsenden Materialien. Wir müssen dafür neue Quellen erschließen. Sehr viele Reststoffe aus Land- und Forstwirtschaft sind geeignet, um mit unterschiedlichen Pilzen Materialien herzustellen.

Wir sind im engen Austausch mit Partnern aus der Landwirtschaft, die landwirtschaftliche Nebenprodukte und Reststoffe vorschlagen, auf die wir selbst nicht kommen würden. Fast alle organischen Materialien aus der Landwirtschaft sind prinzipiell geeignet. Theoretisch würden auch auf Rinderdung Pilze wachsen, nur will niemand eine Platte aus Rinderdung an der Wand. Wir experimentieren daher mit verschiedenen Stoffen, um deren Potenzial auszuloten. 

MY-CO SPACE: Kunstprojekt aus Pilzen 

Sie haben bereits eine Art Haus aus Pilzmaterial gebaut. Welche Erfahrungen habe sie gemacht?

Dr. Bertram Schmidt: Im Rahmen eines Kunstprojektes haben wir vor zwei Jahren im Frankfurter Metzlerpark einen bewohnbaren Pavillon aus Pilzplatten gebaut: MY-CO SPACE. Er ist jetzt in Berlin in der TU-Bibliothek ausgestellt. Er musste allerdings mit einer Plane überspannt werden, um ihn vor Regen zu schützen, denn noch ist unser Material nicht wasserdicht. Wir bekamen durch dieses Projekt viel Aufmerksamkeit und Zuspruch für unsere Forschung und jede Menge Anfragen zu möglichen Anwendungen. Persönlich habe ich für Pilze noch eine andere Verwendung. Ich gehe zu jeder Jahreszeit mit pilzbegeisterten Freunden in den Wald, um Pilze zu sammeln. Die hauen wir uns dann in die Pfanne.

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