Nach jahrelangem Streit und unvermuteten archäologischen Funden (etwa eine Latrine aus dem 14. Jahrhundert) wird auf der Fischerinsel in der Berliner City endlich gebaut. Das kommunale Wohnungsunternehmen WBM realisiert hier aktuell 210 Wohnungen in einem wenig representablen Klotz. Das freut nicht jeden ...
Artikel vom 26.04.2021: Die Bagger sind in der Baugrube bereits zugange, direkt daneben arbeiten die Archäologen. Noch bis zum Sommer sichern sie mitten in der Berliner City – auf dem Grundstück Fischerinsel an der Ecke Mühlendamm – Artefakte aus 800 Jahren Siedlungsgeschichte.
Latrine aus dem 14. Jahrhundert sorgt für Furore
Im April gerieten die Ausgrabungen in die Schlagzeilen, weil eine Latrine aus dem Mittelalter geborgen worden war. Jens Henker, Gebietsreferent Bodendenkmale im Landesdenkmalamt Berlin, erklärt: „Das Besondere an dieser Latrine aus dem 14. Jahrhundert ist, dass sie nicht aus Holz gebaut, sondern aus Stein gemauert ist.“ Das historische Klo ist damit ein bemerkenswerter Fund, aber nicht der einzige.
Das von der Spree umflossene Areal befindet sich unmittelbar am Gründungskern der einstigen Doppelstadt Berlin-Cölln, unweit vom Petriplatz und der Petrikirche. Da es so nah am Wasser liegt, haben die damaligen Bewohner die Flussniederung befestigt. Sie nutzten dafür Hölzer, die anderswo nicht mehr zu verwenden waren. Diese Reste sind bei den Grabungen zum Vorschein gekommen.
„Die Leute haben jede Menge Hausmüll abgekippt“, berichtet Jens Henker. Wie in vielen anderen Grabungsstätten wurden Keramikscherben gefunden, aber auch Münzen und Hinterlassenschaften eines Kamm-Machers, an denen sich der gesamte Produktionsprozess vom Knochen bis zum fertigen Produkt nachvollziehen lässt. Die Archäologen sind am Nordrand der Baugrube darüber hinaus auf ein massives, knapp ein Meter breites Fundament gestoßen. Es lässt darauf schließen, dass hier bereits im Mittelalter ein gemauertes Gebäude gestanden hat. „Gebäude aus Stein waren im Mittelalter selten. Wir nehmen daher an, dass hier wohlhabende Menschen gelebt haben.“
Hochhausplanung für Fischerinsel wurde nicht realisiert
In unmittelbarer Nähe befand sich auch der Köllnische Fischmarkt. Der Name Fischerinsel ist jedoch eine Erfindung der DDR-Stadtplaner, die auf diesem Zipfel der Spreeinsel in den 1970er Jahren alle Altbauten abreißen und ein modernes Quartier mit sechs Hochhäusern errichten ließen. Wo derzeit die historischen Fundamente freigelegt werden, wollte die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) bereits vor Jahren ein siebentes Hochhaus mit 19 Stockwerken errichten: als circa 60 Meter hohen Kopfturm einer u-förmigen Blockrandbebauung.
Mit diesem Entwurf hatte 2015 das Berliner Architekturbüro DMSW den Wettbewerb von Senat und WBM gewonnen. Bereits 2016 sollte der Bau beginnen. Das Projekt stieß jedoch auf heftigen Widerstand der Anwohner. Kritisiert wurde nicht nur die Höhe des Gebäudes und damit die Verschattung des dahinterliegenden Hochhauses sowie der Wegfall der Parkplätze, sondern auch die vertane Chance, die historische Mitte wiederzubeleben. Am Ende musste das gesamte Projekt neu geplant werden.
Fischerinsel erhält achtgeschossigen Neubau mit über 200 Wohnungen
Realisiert wird nun der drittplatzierte Entwurf der Architekten Blauraum. Der achtgeschossige Neubau soll 2023 fertig sein. Er bietet dann 210 Wohnungen, Räume für eine kleine Kita, Flächen für kleinteiliges Gewerbe, ein Café und einen begrünten Innenhof. Die Hälfte der Wohnungen müssen gemäß der Kooperationsvereinbarung mit dem Senat zu geförderten Mieten von 6,50 Euro vergeben werden. 49 Wohnungen werden möbliert vermietet, davon sieben an Studenten-WGs.
Es ist zu erwarten, dass die Wohnungen in Laufnähe zum Berliner Schloss, dem Gendarmenmarkt und der Humboldt-Universität auf großes Interesse stoßen. Christoph Lang, Pressesprecher der WBM, erklärt: „Wir führen keine Wartelisten, sondern beginnen circa drei Monate vor Fertigstellung damit, die Wohnungen auf unserer Webseite und entsprechenden Maklerportalen zu veröffentlichen.“
Die Latrine aus dem Mittelalter wird die Neubau-Bewohner später daran erinnern, auf welch historischem Grund sie wohnen. Jens Hecker vom Landesdenkmalamt sagt: „Sie wird restauriert und dort in einer der Grünanlage aufgestellt.“ Alle übrigen Funde gehen an das Museum für Vor- und Frühgeschichte. Die Sammlung befindet sich im Neuen Museum auf der Museumsinsel.
Grundsteinlegung für Quartier auf der Fischerinsel
Update vom 16. August 2021: Heute hat die WBM im Beisein von Bausenator Sebastian Scheel und dem Baustadtrat von Mitte Ephraim Gothe den Grundstein für 210 neue Mietwohnungen auf der Fischerinsel gelegt. Ab voraussichtlich Mitte 2023 werden hier Wohnungen, Gastronomie, Läden und eine Kita neuen Wohn- und Lebensraum mitten in Berlin bieten. Am städtebaulich besonders exponierten Standort Fischerinsel Ecke Mühlendamm entstehen in der historischen Mitte Berlins neue, bezahlbare Mietwohnungen für alle Generationen. Die Nutzungsmischung sieht neben Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen auch möblierte Apartments, Studenten-WGs und Trägerwohnen vor. Im Erdgeschoss sind fünf Gewerbeeinheiten und eine Kita vorgesehen, dazu ein Concierge-Service für die Bewohner.
WBM feiert Richtfest auf der Fischerinsel
Update vom 01. Juli 2022: Die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH (WBM) feierte für 210 Wohnungen Richtfest. Die WBM betonte, dass es sich in dieser exponierten Lage um bezahlbare Wohnungen handeln wird. Möglich wird das unter anderem durch den Einsatz von Fördermitteln: 50 Prozent der Wohnungen sind gefördert. Und durch einen Wohnungsmix, zu dem 42 sogenannte Trägerwohnungen und sieben Wohnungen für Studenten gehören. Diese Wohnungen sind möbliert und können zu höheren Preisen vermietet werden.
Nach dem jahrelangen Streit mit Anwohnern der umliegenden Hochhäuser, einem langwierigen Beteiligungsverfahren und den archäologischen Ausgrabungen konnte im Dezember 2020 mit dem Bau nach dem Entwurf der Blauraum Architekten begonnen werden. Die Fertigstellung ist für Dezember 2023 geplant. Das Projekt an der Kreuzung zur Mühlendammbrücke ist so prominent, dass zum Richtfest die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) anwesend war.
Sie betonte: „Das Neubauprojekt auf der Fischerinsel zeigt nicht nur, dass die landeseigenen Wohnungsunternehmen einen unverzichtbaren Beitrag für mehr Neubau in unserer Stadt leisten, sondern auch, dass Wohnen in Berlins Mitte und die Erhaltung der Berliner Mischung gemeinsam funktionieren.“ Das Projekt umfasst auch Gastronomie, Läden und eine Klein-Kita – und einen Concierge-Dienst. Christina Geib, Geschäftsführerin der WBM, sagte: „Berlin braucht dringend neue Wohnungen und wir freuen uns, mit unserem Neubauvorhaben auf der Fischerinsel einen weiteren Beitrag zum sozialen Wohnungsmarkt leisten zu können.“
Am Richtfest nahm auch der Landeskonservator Dr. Christoph Rauhut teil und äußerte seine Freude über das Projekt. Schließlich hat es bei den Grabungen 2016/2017 und noch einmal 2020/2021 Einblick in die Gründungsgeschichte der Stadt Berlin ermöglicht: „Auch auf der Fischerinsel lag die Geschichte dicht unter dem Asphalt. Neubauprojekten verdanken wir in Berlin immer wieder aufschlussreiche archäologische Funde, aktuell etwa am Molkenmarkt oder zuvor auf dem Petriplatz hier gegenüber.“ Bis in knapp fünf Metern Tiefe waren bauliche Reste erhalten. Die ältesten Spuren gehen bis in die Gründungszeit Berlins um 1200 zurück. Die bei den Grabungen freigelegte Latrine aus dem 14. Jahrhundert wurde gesichert und wird nach Abschluss der Bauarbeiten in der nahegelegenen Grünanlage ausgestellt werden.
Misslungene Stadtreparatur: Das Fischerinsel-Ärgernis
Update vom 28. Mai 2023: Das Gebäude an der Ecke Fischerinsel und Mühlendamm wäre eigentlich keiner Rede wert, wäre nicht so viel darüber geredet worden. Und würde dieses Objekt nicht einen Vorgeschmack darauf geben, was mit der „Wiederbelebung der historischen Mitte“ am Molkenmarkt dräut. Nach jahrelangen Diskussionen, nach Einwänden der Mieter, Gerede und Entscheidungen von Architekten und Politikern steht da nun am ehemaligen Köllnischen Fischmarkt und mit Blick auf das Berliner Stadtschloss: ein abweisender Klotz.
Lange Historie mit vielen Möglichkeiten
Vieles wäre an dieser Stelle möglich gewesen. Das Planwerk Innenstadt sah hier einen Neubau in Blockrandbebauung vor, die ehemalige Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hatte sich für ein Hochhaus ausgesprochen, dass aber am Protest der Anwohner scheiterte. Peter Dobrick vom Berliner Ortsverband des Stadtbild Deutschland e.V. sagt: „Es hätte architektonisch auch an die historische Parzellierung mit drei einzelnen Häusern angeknüpft werden können, um dem in diesem Bereich sehr fragmentierten und großteils überbauten Berliner Altstadtgefüge ein Stück seiner ehedem kleinteiligen Identität zurückzugeben.“
Bis zu ihrer Zerstörung befanden sich hier Gebäude mit klassisch gegliederten Fassaden. Sie fügten sich in den baulichen Kontext von Köllnischem Fischmarkt, Petriplatz und Breiter Straße ein. Am Köllnischen Fischmarkt 4 stand einst das Palais Derfflinger, ein Gebäude mit drei Etagen, dessen Attika von sechs Figuren antiker Gottheiten geschmückt wurde.
U-förmiger Block mit Orientierung an DDR-Hochhäusern
Gebaut hat das Landeseigene Wohnungsunternehmen WBM nun einen U-förmigen Block mit nichtssagender Fassade und schattigem Innenhof nach dem Entwurf der DMSW Architekten, den Siegern im Wettbewerb. Die Architektur orientiert sich nicht an den Vorbildern der historischen Mitte, sondern an den Hochhäusern aus DDR-Zeiten im Umfeld. Einziger Schmuck sind die türkisfarbenen Elemente an den Fenstern, die einen Bogen zu den Fensterelementen der Hochhäuser schlagen. Ein historischer Bezug wird am Ende lediglich durch das Aufstellen einer Latrine aus dem Mittelalter im Park hergestellt.
Die Ideologie dahinter: Maximal viele Sozialwohnungen in der Innenstadt, preisgünstig gebaut. Von den 210 Wohnungen in diesem Block werden 94 Wohnungen zu einem Mietpreis von 6,50 Euro an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins vermietet. Die Querfinanzierung erfolgt über möblierte Apartments und Studenten-WGs. Die Mietpreise dafür gibt die WBM nicht bekannt. Im vierten Quartal 2023 soll das Objekt fertig sein, die Vermietung beginnt im dritten Quartal.
Stadtreparatur nicht gelungen?
Dass Sozialwohnungen in Berlin gebraucht werden, steht außer Frage. Wenn sie auf einem innerstädtischen Filetgrundstück gewollt sind, warum nach all den Diskussionen über die historische Mitte so, dass man nicht hin- sondern wegsehen will? Das Objekt wird die Blickachse zum Berliner Stadtschloss sehr lange Zeit prägen.
„Gerade an dieser sensiblen Stelle im hier stark beschädigten Teil der Berliner Altstadt hätte die Möglichkeit bestanden, mit vergleichsweise wenig Aufwand viel Stadtreparatur zu betreiben“, sagt Peter Dobrick. „Aber die WBM und die damals zuständige Senatsbaudirektorin Lüscher sind dieser Aufgabe nicht gerecht geworden.“ Dieses Versagen lasse nichts Gutes für den Molkenmarkt erwarten, den ältesten Platz Berlins. Denn auch dort sollen die WBM und die Degewo den Löwenanteil der Neubauten mit einem maximalen Anteil an Sozialwohnungen errichten.