Mit Mitteln aus dem Kohle-Ausstiegsfonds will die Stadt Halle ein großes Gewerbegebiet in der City erschließen. Altlasten und fehlende Verkehrsanbindungen machen das Projekt jedoch aufwändig.
Hinter dichten Büschen und Hecken ragen hohe Backstein-Hallen empor. Der lang gestreckte Komplex mit imposanter Architektur am halleschen Hauptbahnhof lässt den Glanz früherer Zeiten aber nur noch erahnen. Das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk – die Hallenser sprechen vom RAW-Gelände – wird seit mehr als 20 Jahren nicht mehr genutzt. Witterung und Vandalismus haben die Gebäude nicht nur beschädigt, einige Industriebauten sind auch einsturzgefährdet. Doch jetzt will die Stadt das innerstädtische Areal wieder mit Leben erfüllen: durch einen modernen IT-Campus.
Reichsbahnausbesserungswerk in Halle soll zu Gewerbegebiet werden
Die Industriebrache soll zu einem Gewerbegebiet mit Restaurants und Wohnungen werden, teilte die Entwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft Halle-Saalekreis mbH (EVG) mit. Bei dem Vorhaben handelt es sich um ein sogenanntes Leuchtturmprojekt, das Mittel aus dem Kohle-Ausstiegfonds nutzt. Veranschlagt sind 180 Millionen Euro. Das etwa 20 Hektar große Areal muss laut EVG-Geschäftsführer Robert Weber von Altlasten befreit und neu erschlossen werden.
Auf dem Gelände wurden über Jahrzehnte zuerst Dampfloks, später Dieselloks repariert und gewartet. Der Standort gehört derzeit zum Bundeseisenbahnvermögen der Deutsche Bahn AG und einer privaten Erbengemeinschaft. Der Boden ist mit Altöl und anderen Umweltgiften belastet. Die Deutsche Bahn hatte bisher keine Pläne für das Gelände.
Video: Das RAW-Gelände in Halle wird zum Leuchtturmprojekt des Strukturwandels
Hürden für die Erschließung des RAW-Geländes
Eine Erschließung durch einen privaten Investor gilt unter Fachleuten aufgrund der hohen Sanierungskosten als ausgeschlossen. Durch die Mittel aus dem Kohle-Ausstiegsfonds sieht die Stadt Halle nun aber eine Möglichkeit, das verwaiste Gelände zu nutzen. Es wurde bereits in den Plan zur Vergabe der sogenannten Strukturfondsmittel aufgenommen. Halle gehört zum Mitteldeutschen Braunkohlerevier. Der Bund stellt Sachsen-Anhalt insgesamt 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung, um in der Bergbauregion neue Firmen anzusiedeln und Jobs zu schaffen. Nun hat der kommunale Entwickler EVG erstmals ein Konzept für das RAW-Gelände vorgestellt. Für die Erschließung gibt es drei große Hürden:
- Altlasten: Nach Angaben von EVG-Geschäftsführer Robert Weber wurde vor kurzem eine Altlastenuntersuchung vorgenommen. „Die Erwartungen haben sich bestätigt.“ So seien unter anderem chlorierte Kohlenwasserstoffe, wie man sie in Lösemitteln und Kühlflüssigkeiten findet, im Boden gefunden worden. „Es gab aber keine bösen Überraschungen.“ Die EVG hält eine Sanierung für möglich. Wie groß der Aufwand ist, hängt auch von der künftigen Bebauung ab.
- Denkmalschutz: Auf dem Gelände befinden sich den Angaben zufolge 30.000 Quadratmeter denkmalgeschützte Industriehallen, deren Rekonstruktion und Umbau aufwändig sind. Ein Gebäudegutachten soll festellen, in welchem Umfang die Immobilien überhaupt sanierungsfähig sind. So gelten einige Hallen als einsturzgefährdet.
- Anbindung: Das RAW-Gelände hat eine Insellage, fast komplett von Bahnschienen umschlossen. So wird nach Robert Webers Worten geprüft, ob das Areal über eine Brücke an die B6 angebunden werden kann. Zudem soll es einen direkten Fußgängertunnel vom Hauptbahnhof geben.
Es sollen gezielt IT-Firmen angesiedelt werden
Dass eine vergleichsweise teure Erschließung in Frage kommt, wird mit der „einzigartigen Lage des Standortes“ begründet: direkt am Hauptbahnhof und dem Riebeckplatz, dem Verkehrsknoten der Saalestadt. Nach ersten Schätzungen könnten mindestens 1.500 Arbeitsplätze entstehen. Es sollen laut Konzept gezielt IT-Firmen und Start-ups angesiedelt werden. „Wir haben bereits Kontakt zu größeren IT-Unternehmen, die Interesse haben, sich anzusiedeln“, so Robert Weber. Wie die Flächennutzung aussehen könnte, dafür hat die EVG auch schon einen detaillierten Plan erstellt.
Anfang Dezember 2023 hatte sich erstmals der Planungsausschuss in Halle mit der Aufstellung des B-Plans beschäftigt. Die Stadt muss das Gelände von der Bahn erst noch erwerben. Geht es nach den Plänen der EVG, könnte 2025 die Altlastensanierung beginnen. Ziel ist es laut Robert Weber, etwa 2028/29 mit der eigentlichen Erschließung zu starten. Die Flächen würden daher wohl erst etwa 2030 in die Vermarktung kommen. Erst dann könnten Investoren mit dem Bau von Gebäuden beginnen. Weber spricht selbst von einem „Mammut-Projekt“.
Angrenzend entsteht das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation
Bis zum Ende des Jahrzehntes soll auch der angrenzende Riebeckplatz, einer der verkehrsreichsten Knoten in Ostdeutschland, komplett umgebaut werden. In der Mitte wird nach aktuellem Stand das sogenannte „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ gebaut, eine Forschungseinrichtung und ein Ausstellungsort. Mehrere hunderttausend Besucher sollen pro Jahr kommen. Der Bund will in den Bau 200 Millionen Euro investieren. Die Stadt Halle muss dafür die Verkehrsführung auf dem Platz ändern. Die Hochstraße würde verschwinden. Dadurch wäre mehr Platz für einen Park, auch ein Hotelneubau ist geplant. Für die Umgestaltung veranschlagt die Stadt etwa 70 Millionen Euro – ein Großteil soll über Fördermittel vom Land und Städtebaumittel des Bundes finanziert werden.