Auch in Thüringen nimmt der Bedarf an sozialem Wohnraum zu, vor allem in den Großstädten Erfurt und Jena. Ohne Förderung durch das Land kommt der Bau neuer Sozialwohnungen aber nicht voran. Außerdem übersteigt die Nachfrage regelmäßig die zur Verfügung stehenden Mittel.
Nach Schätzungen des Thüringer Landesministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft haben rund 60 Prozent der rund 1,2 Millionen Thüringer Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und somit auf eine Sozialwohnung. Für den sozialen Wohnungsbau stellte der Freistaat in den Jahren 2019, 2020 und 2021 Fördermittel in Höhe von rund 184 Millionen Euro zur Verfügung, davon 50 Millionen Euro im Jahr 2021. Dem standen allein im vergangenen Jahr Projektanträge in Höhe von 118 Millionen Euro gegenüber - ein deutliches Zeichen dafür, dass die zur Verfügung stehenden Mittel bei weitem nicht ausreichen. In der Tat kam es in den Jahren 2020 und 2021 zu einem Stopp der Mittelauszahlung, nachdem die Fördertöpfe ausgeschöpft waren.
Dennoch erhöhte sich nach Angaben der Landesregierung die Zahl der mietpreisgebundenen Wohnungen von 14.971 im Jahr 2019 auf 15.085 Einheiten im Jahr 2020. Seit 2015 ist jedoch ein Rückgang um fast ein Fünftel zu verzeichnen. Der Grund: Gerade die in der Nachwendezeit entstandenen geförderten Wohnungsbestände nehmen kontinuierlich ab, da die Objekte vertragsgemäß nach Fristablauf aus der sozialen Belegungsbindung herausfallen.
Thüringer Fördermittelfluss für sozialen Wohnungsbau gerät erneut ins Stocken
Nach Einschätzung des vtw – Verband Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e. V. stammten die meisten der mietpreisgebundenen Wohnungen, die 2020 auf den Markt kamen, aus den Jahren 2016 oder 2017. „Zu jener Zeit gab es attraktive Förderrichtlinien, die Investoren zum Bau von Sozialwohnungen motivierten“, sagt vtw-Verbandsdirektor Frank Emrich.
Gegenwärtig stockt der Geldfluss erneut: In seinem unlängst beschlossenen Landeshaushalt für 2022 hat der Freistaat keine Eigenmittel für den sozialen Wohnungsbau eingeplant. Das bedeutet: Statt 150 Millionen Euro, die nach vtw-Schätzungen erforderlich wären, stehen für die Errichtung von Sozialwohnungen aktuell nur 35 Millionen Euro zur Verfügung. Zwei Drittel davon sind Zuweisungen des Bundes, der Rest speist sich aus Rückzahlungen von Unternehmen in den Thüringer Wohnungsbaufonds.
Bliebe es dabei, würden Bundeszuschüsse in Höhe von 26 Millionen Euro verfallen, da sie nicht kofinanziert werden können. Der vtw bezeichnete dies als „Offenbarungseid zur Wohnungspolitik“ und forderte die Landesregierung zu einer sofortigen Kurskorrektur auf. In Erfurt und Jena, in denen eine Mietpreisbremse gilt, seien dadurch Baulandmodelle und Konzeptvergaben für bezahlbaren Wohnraum gefährdet, so der vtw.
Erfurt: Baulandmodell steht und fällt mit Landesförderung
Nachdem über Jahre hinweg in Erfurt de facto keine neuen Sozialwohnungen gebaut wurden, beschloss der Stadtrat im Mai 2019 das so genannte Wohnbaulandmodell. Es besagt, dass in Bauvorhaben über 3.500 Quadratmeter 20 Prozent des neu entstehenden Wohnraums als Sozialwohnungen errichtet werden müssen. Dadurch sollte zum einen der mietpreisgebundene Wohnungsbestand erhöht und zum anderen eine gute soziale Durchmischung im Quartier gewährleistet werden.
Seinerzeit hätte das ein knappes Viertel der geplanten 4.700 Wohneinheiten betroffen. Allerdings räumte die Stadtverwaltung im vergangenen Jahr auf Anfrage ein, dass im Jahr 2020 in der Landeshauptstadt lediglich 25 Sozialwohnungen errichtet wurden. Zusätzlich zu weiteren 160 Wohneinheiten im Jahr 2021 käme Erfurt in Summe auf lediglich 185 Sozialwohnungen und somit nur knapp auf vier Prozent des insgesamt zu errichtenden Neubaubestandes – deutlich weniger als die avisierten 20 Prozent.
Warum scheiterte das Wohnbaulandmodell?
Warum ist das Wohnbaulandmodell in Erfurt gescheitert? Grundsätzlich beruht es darauf, dass Kommunen Grundstücke erwerben und unter Auflagen, beispielsweise für sozialen Wohnungsbau, weiterverkaufen. In diesem Fall finanziert es sich aus dem starken Wertzuwachs, den das Grundstück durch seine Umwidmung in Bauland erhält. Was in westdeutschen Metropolen funktionieren kann, stößt jedoch in ostdeutschen Kommunen schnell an Grenzen. Denn erstens verfügen Städte wie Erfurt nicht über die nötigen Mittel für den Erwerb der Grundstücke, und zweitens steigen die Bodenwerte hierzulande nicht in dem erforderlichen Maß.
Ohne Unterstützung durch Fördergelder des Landes geht das Modell daher nicht auf. Sind diese Mittel ausgeschöpft, ist davon auch das Baulandmodell betroffen. Aus diesem Grund muss die Stadt Erfurt vor allem für größere Bauvorhaben, die mit der 20-Prozent-Klausel geplant wurden, eine Lösung finden, durch die einerseits der Wohnungsbau in der Landeshauptstadt nicht ins Stocken gerät, die andererseits aber auch den Stadtratsbeschluss zum Baulandmodell berücksichtigt.
EUROPAKARREE bringt 100 mietpreisgebundene Wohnungen
Eines der derzeit größten Wohnungsbauvorhaben in Erfurt ist vom Förderstopp nicht betroffen: Im Norden der Stadt errichtet die WOHNGROUP GmbH als Teil der Quartiersentwicklung EUROPAKARREE II 54 mietpreisgebundene Wohnungen, die dem sozialen Wohnungsmarkt für 20 Jahre zur Verfügung stehen werden. Anfang November 2021 erhielt sie für ihr Vorhaben den Bewilligungsbescheid über Fördermittel in Höhe von insgesamt circa 9,8 Millionen Euro vom Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft. Zusammen mit dem EUROPAKARRE I entstehen auf dem rund 32.600 Quadratmeter großen Erbpachtgrundstück im Stadtteil Gispersleben fast 100 Sozialwohnungen. Insgesamt umfasst das Projekt EUROPAKARRE 462 Wohnungen.
Jena: Kommune kompensiert ausbleibende Landesmittel
Derzeit verfügt Jena über 750 Sozialwohnungen. Weitere 360 sollen in den kommenden Jahren hinzukommen. Erst Mitte Januar übergab die Thüringer Infrastruktur-Ministerin Susanna Karawanskij zwei Zuwendungsbescheide in Höhe von insgesamt rund 76 Millionen Euro für den Bau von Sozialwohnungen in Jena. „Jena war im letzten Bewilligungsjahr der absolute Schwerpunkt unserer sozialen Wohnraumförderung“, erklärte die Ministerin aus diesem Anlass.
Das Fördergeld fließt in zwei Wohnbauprojekte: 38,6 Millionen Euro erhalten die „Erlenhöfe“ der Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss e. G., ein neues Wohnquartier mit acht Gebäuden und insgesamt mehr als 140 Wohnungen im Stadtteil Wenigenjena. Das neue Wohnquartier wird über acht Gebäude mit insgesamt über 140 Wohnungen verfügen. Davon werden 128 Wohnungen gefördert, zehn frei finanziert und zwei – ebenfalls ohne Fördermittel – Wohngemeinschaften zur Verfügung gestellt. Die Gesamtkosten für das Vorhaben beziffert die Genossenschaft mit circa 50,6 Millionen Euro.
Weitere 37,4 Millionen Euro gehen an das Wohnungsbauvorhaben „Salvador-Allende-Platz“ im Stadtteil Lobeda der zur Stadtwerke Jena gehörenden jenawohnen GmbH. Mit der Förderung will die mit 14.400 Wohnungen größte Wohnungsgesellschaft Thüringens zwei elfgeschossige Plattenbaugebäuderiegel um- und ausbauen. Geplant sind 292 Wohnungen, davon 54 barrierefrei. Die Gesamtkosten des Vorhabens belaufen sich auf 39,7 Millionen Euro.
Bei der Schaffung von sozialem Wohnraum verlässt sich Jena nicht nur auf Landesmittel. Als der Freistaat Mitte vergangenen Jahres bei der Förderung von sozialem Wohnraum ein Stoppzeichen setzte, sprang die Kommune für das Jenaer Stadtgebiet kurzerhand mit eigenen Mitteln ein. Dabei übernahm die Stadt das Programm vom Grundsatz her in gleicher Weise, allerdings nicht vollständig, denn das sei vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltslage nicht leistbar, wie Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche seinerzeit betonte. Wie in Erfurt verpflichtet auch in der Universitätsstadt ein Stadtratsbeschluss Bauherren, Wohnungen über einen bestimmten Zeitraum zu sozialen Konditionen zu vermieten - über 15 Jahre hinweg mindestens zehn Prozent der in Bauprojekten mit mehr als 15 Wohneinheiten entstehenden Wohnungen.