Ein Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft, sowie Sozial- und Branchenverbänden der Bauwirtschaft hat vor einer „neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“ in diesem Jahr gewarnt. Basis dafür ist eine Wohnungsbaustudie, die das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ beim Pestel-Institut (Hannover) und beim Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) in Auftrag gegeben hat. Als Reaktion auf die Ergebnisse der Untersuchung fordern die Bündnisvertreter den Bund und die Länder zu einer gemeinsamen „Sozialwohnungsbau-Offensive“ auf.
Lukas Siebenkotten ist dafür bekannt, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Doch was der Präsident des Deutschen Mieterbundes am 12. Januar bei der Vorstellung einer Studie des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“ zum Sozialwohnungsbau in Deutschland äußerte, klang dramatisch: 700.000 Wohnungen fehlen deutschlandweit in diesem Jahr. Dies sei „das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren und Ausdruck einer neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“, so der Spitzenfunktionär.
Die Politik müsse hier schleunigst eine Kehrtwende vollziehen und vor allem den sozialen Wohnungsbau deutlich stärker in den Fokus nehmen, so lautet die Kernforderung des Verbändebündnisses, dem neben dem Mieterbund die Baugewerkschaft IG BAU sowie Sozial- und Branchenverbände der Bauwirtschaft angehören. Ähnlich wie bei der Schließung dringender Finanzlücken bei der Bundeswehr sei es nötig, dazu ein „Sondervermögen“ aufzulegen. Dieses sollte 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 umfassen – getragen zu drei Vierteln durch den Bund und zu einem Viertel durch die Länder. Nach den Erfahrungen des Jahres 2022, in dem Schätzungen des Bündnisses zufolge lediglich rund 20.000 Sozialwohnungen fertiggestellt wurden, sei dies der einzige Weg, die bis zur Regierungszielmarke von 400.000 fehlenden 380.000 Sozialwohnungen in der aktuellen Legislaturperiode noch zu errichten.
Extrem gestiegene Baukosten machen freifinanzierten Neubau praktisch unmöglich
Die Summe für das „Sondervermögen“ von 50 Milliarden sei dabei nicht aus der Luft gegriffen, sondern stütze sich auf Berechnungen einer Studie der Pestel Institut gGmbH Hannover und der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für zeitgemäßes Bauen e. V. aus Kiel, hieß es bei der Vorstellung der Studienergebnisse in Berlin. Unter Annahme der aktuellen Baukosten und eines Zinssatzes von 3,7 Prozent errechneten die Experten Kosten für den Neubau einer Mietwohnung in einer deutschen Großstadt von 4.900 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche (inklusive Grundstückskosten). „Damit haben wir uns deutlich aus dem Bereich geschossen, der freifinanzierten Neubau überhaupt noch möglich macht“, so ARGE-Institutsleiter Professor Dietmar Walberg.
Werde nach den aktuell geltenden Energiestandards gebaut, betrage der Subventionsbedarf für den Neubau einer 60 Quadratmeter großen Sozialwohnung rund 126.000 Euro, ergänzte Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. Um das Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen bis Ende der Legislaturperiode zu erreichen, müsse der Staat dafür also jährlich 12,6 Milliarden Euro bereitstellen. Ein maximaler Klimaschutz nach KfW-Standard Energieeffizienzhaus 40 würde die erforderliche staatliche Förderung auf 14,9 Milliarden Euro erhöhen.
Mehrwertsteuer im sozialen Wohnungsbau auf sieben Prozent senken
„Vorfahrt für den sozialen Wohnungsbau bedeutet auch, in diesem Sektor die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent zu senken“, umriss Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), eine weitere Bündnis-Forderung. Ebenso wichtig sei eine schnellere Bearbeitung von Förderanträgen. Vorbild sei hier Schleswig-Holstein, wo dieser Vorgang in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere. Auch durch den stärkeren Umbau von Gewerbebauten zu Wohnungen und die Dach-Aufstockung ließe sich schneller bezahlbarer Wohnraum schaffen. Der Staat müsse alles dafür tun, damit Wohnungsgesellschaften – kommunale, genossenschaftliche und kirchliche – bauen können und wollen.
Starkes Bevölkerungswachstum trifft auf Mangel an Wohnraum und an Arbeitskräften
Zwei Entwicklungen seien es, die gegenwärtig den Rahmen setzten: Zum einen eine erhebliche Zunahme der Bevölkerung – allein im vergangenen Jahr verzeichnete Deutschland einen Wanderungsgewinn von 1,5 Millionen Menschen. Zum anderen eine doppelte Mangelsituation: Wohnungs- und Arbeitskräftemangel treffen zusammen. Prognosen besagen, dass ohne Zuwanderung bis 2035 dem deutschen Arbeitsmarkt rund 4,5 Millionen Beschäftigte fehlen werden. „Wir sind künftig auf 300.000 bis 500.000 Menschen angewiesen, die pro Jahr zu uns kommen. Aber wo sollen sie wohnen?“, fragte Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP). Gerade auch für Menschen mit Handicap sei es schon jetzt extrem schwer, eine Wohnung zu finden. Für diese sowie für andere benachteiligte Bevölkerungsgruppen forderte sie deshalb ein Zehn-Prozent-Kontingent bei Sozialwohnungen – mit anderen Worten: Jede zehnte Sozialwohnung, die vergeben wird, sollte gezielt Menschen mit Behinderung angeboten werden.
Bei Bau-Rezession droht Abwanderung von Fachkräften
Vor den Folgen einer Rezession im Bausektor warnte Dr. Hannes Zapf. Dann würde den Unternehmen entlang der Bau-Prozesskette nichts anderes übrigbleiben, als darauf mit Kurzarbeit, Entlassungen und Investitionszurückhaltung zu reagieren, so der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM). „Werden dadurch aber Fachkräfte freigesetzt, besteht wie bei der Gastronomie in Folge von Corona die Gefahr, dass diese in andere Wirtschaftszweige abwandern und nicht wieder zurückkehren“, Dies wäre dann für die Zukunft die eigentliche Katastrophe.