Seit dem 24 Juni 2021 gilt der neue qualifizierte Mietspiegel Leipzig für das Jahr 2020. Seine Erstellung durch die Stadt Leipzig wurde von einer Arbeitsgruppe aus Haus & Grund Leipzig, dem Mieterverein Leipzig sowie Vertretern der Wohnungswirtschaft, der Justiz und der Wissenschaft begleitet. Seine Aufgabe: Er soll Rechtssicherheit für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete schaffen und dient als Grundlage für die Mietpreisbremse zur Begrenzung der Neuvertragsmieten in der Messestadt.
Haus & Grund: Leipziger Mietspiegel 2020 verliert Qualifizierung
Artikel vom 03. September 2022: Doch am 26. August 2022 wagte Haus & Grund Leipzig, und damit einer der Vertreter aus der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Mietspiegels, einen Vorstoß und erklärte, der Mietspiegel habe seine Qualifizierung verloren. Ronald Linke, Vorsitzender von Haus & Grund Leipzig, zog das Mietspiegelreformgesetz, das seit 01. Juli 2022 gilt - und an einigen Stellen bestimmter Paragrafen klare Aussagen missen lässt, die genau regeln, ab wann etwas ganz genau gelten soll -, zur Erklärung heran.
Darin ist für sogenannte qualifizierte Mietspiegel eine Aktualisierungspflicht von zwei Jahren vorgesehen. Sie gilt auch für schon existierende Mietspiegel. Eine Fortschreibung des Mietspiegels 2020 binnen dieser Zwei-Jahres-Frist wurde von der Stadt Leipzig nach Meinung von Haus & Grund Leipzig nicht vorgenommen.
„Die Stadt Leipzig hat offenbar die Frist in der Neureglung verpasst. Jetzt ist der Mietspiegel unwirksam.“
Ronald Linke weiter: „Der Stichtag für die Datenerhebung für den Mietspiegel 2020 war der 01. August 2020. Die Fortschreibung des Mietspiegels 2020 hätte bis dahin erfolgen müssen.“ Nach Kenntnis seines Verbandes habe die Stadt Leipzig die nötige Fortschreibung verpasst. Seit dem 01. August 2022 existiere daher kein qualifizierter Mietspiegel mehr für Leipzig.
Mehr noch: Zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete kann damit auch wieder auf Vergleichswohnungen zurückgegriffen werden. „Damit gilt nicht mehr allein der Mietspiegel, um die angemessene Miete nach der Mietpreisbremse zu berechnen“, so Ronald Linke abschließend.
Stadt Leipzig: Leipziger Mietspiegel ist gültig
Fünf Tage später wies die Stadt Leipzig die Kritik an der Gültigkeit des qualifizierten Mietspiegels zurück. Demnach gelte der aktuelle Leipziger Mietspiegel 2020 bis Juni 2023 als qualifiziert. Entscheidend für die gesetzlichen Fristen sei das Datum der Veröffentlichung; dies war der 24. Juni 2021.
Die Stadt erklärte weiter, dass die Mietspiegelreform erst beim nächsten qualifizierten Mietspiegel greife. Erst ab dann sei die entscheidende Frist der Stichtag der Datenerhebung. Der Leipziger Mietspiegel 2022 werde zum Stichtag 1. Oktober 2022 erstellt, das heißt, die zu befragenden Mieterhaushalte geben die zum 1. Oktober 2022 verlangten Mieten bei der Erhebung an.
Das Mietspiegelreformgesetz sehe vor, dass die Veröffentlichung spätestens neun Monate nach dem Stichtag der Erhebung erfolgen müsse. Die Veröffentlichung des Leipziger Mietspiegels 2022 sei demnach für den Juni 2023 geplant.
Haus & Grund bekräftigt seinen Standpunkt
Direkt am 01. September 2022 bekräftigte der Eigentümerverband Haus & Grund Leipzig noch einmal seinen Standpunkt, wonach der Mietspiegel seine Qualifizierung verloren habe. Eric Lindner:
„Hintergrund ist geltendes Recht, kein Gelehrtenstreit zu einer juristischen Frage.“
Mit dem Mietspiegelreformgesetz sei laut Eric Lindner die Aktualisierungspflicht für qualifizierte Mietspiegel klarer gefasst (§ 558d BGB). Qualifizierte Mietspiegel müssten dementsprechend im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst werden. Werde dies nicht eingehalten, verliere ein qualifizierter Mietspiegel seine besondere Beweiskraft (Vermutungswirkung) und er werde zu einem einfachen Mietspiegel herabgestuft (§ 558d Abs. 3 BGB).
Das Mietspiegelreformgesetz habe den Fristbeginn gesetzlich geregelt, ab wann die Frist für die Aktualisierung zu laufen beginne. Maßgebend sei der Stichtag, zu dem die Daten für den Mietspiegel erhoben wurden (§ 558d Abs. 2 S. 4 BGB). Seit dem 01. Juli 2022 gelte die Aktualisierungsfrist, die auf die ursprüngliche Datenerhebung abstelle, für alle qualifizierten Mietspiegel - gleichgültig, ob diese schon existieren oder erst erstellt werden. Dies ließ sich Haus & Grund Leipzig beispielsweise von dem Bielefelder Professor Ulf Börstinghaus bestätigen.
Die Folgen der Herabstufung eines qualifizierten auf einen einfachen Mietspiegel
Für Haus & Grund ist dementsprechend klar, dass der Leipziger Mietspiegel 2020 nur noch als einfacher Mietspiegel anzusehen ist. Dies hätte vor allem Auswirkungen in einem gerichtlichen Mieterhöhungsverfahren. Die Werte eines einfachen Mietspiegels könnten vom Gericht als Indiz für die im Mietspiegel ausgewiesenen Entgelte herangezogen werden (BGH, NZM 2010, 665). Die mit einem qualifizierten Mietspiegel verbundene besondere Beweislastwirkung im Sinne von § 558d Abs. 3 BGB (Vermutungswirkung) käme einem einfachen Mietspiegel allerdings nicht mehr zu.
Vorher ausgesprochene Mieterhöhungsverlangen des Vermieters wären davon nicht berührt, soweit diese ansonsten formell in Ordnung sind. Denkbar wäre allerdings, dass ein Vermieter infolge der verlorenen Beweiswirkung alternativ auf drei Vergleichswohnungen verweist. Daran ist das Gericht freilich genauso wenig gebunden wie an die Werte eines einfachen Mietspiegels.
Daneben würde sich die abgelaufene Qualifizierung auch auf die seit 13. Juli 2022 in Leipzig geltende Mietpreisbremse auswirken. Danach darf der Neuvermietungspreis bei der Vermietung einer Wohnung die ortsübliche Vergleichsmiete grundsätzlich um nicht mehr als zehn Prozent übersteigen. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird anhand eines Mietspiegels oder drei Vergleichswohnungen oder anhand eines mit Gründen versehenen Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ermittelt.
Dem Vermieter wäre es nun wieder einfacher möglich, auf drei Vergleichswohnungen zu verweisen, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu begründen. Denn der Verweis auf einen daneben bestehenden qualifizierten Mietspiegel ist nur dann einzuhalten, wenn der Mietspiegel ordnungsgemäß fortgeschrieben wurde (§ 558a Abs. 3 BGB).
DMB Mieterverein Leipzig stellt sich auf Seite der Stadt
Der Deutscher Mieterbund Mieterverein Leipzig e.V. (DMB) ließ am 01. September 2022 verlautbaren, dass er die Einschätzung von Haus & Grund Leipzig nicht teile. Laut Anke Matejka, Vorsitzende des Mietervereins, lasse sich auch mit Blick auf die Gesetzesänderung und der zum 01. Juli 2022 in Kraft getretenen Mietspiegelverordnung sehr wohl die Rechtsauffassung vertreten, dass die Qualifizierung des Leipziger Mietspiegels weiterhin gegeben sei.
Der Gesetzgeber unterscheide demnach zwischen dem Stichtag für die Datenerhebung und dem Datum der Veröffentlichung eines qualifizierten Mietspiegels. Letztendlich muss nach der Datenerhebung auch Zeit für die Erstellung und Veröffentlichung bleiben. Es ließe sich sonst kein stichtagsbezogener Mietspiegel erstellen. Da der Leipziger Mietspiegel 2020 am 23. Juni 2021 beschlossen wurde, verliert er erst mit Ablauf des 22. Juni 2023 seine Gültigkeit als qualifizierter Mietspiegel.
Der Hinweis von Haus & Grund, dass nunmehr wieder auf Vergleichswohnungen für die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete zurückgegriffen werden könne, schaffe laut Anke Matejka nicht nur Verunsicherung auf beiden Seiten, sondern berge auch viel Streitpotential mit ungewissem Ausgang. Anke Matejka weiter: „Die kreative Lösung von Haus & Grund, die zulässige Wiedervermietungsmiete bei der Mietpreisbremse anhand von Vergleichswohnungen zu bestimmen, dürfte im Streitfall einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten, denn die Gerichte ziehen regelmäßig auch einen einfachen Mietspiegel zur Bemessung der höchst zulässigen Miete heran.“
Sollte ein qualifizierter Mietspiegel für Leipzig also nicht rechtzeitig neu erstellt werden, so wäre das Gericht nicht gehindert, den Leipziger Mietspiegel 2020 weiterhin als einfachen Mietspiegel zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen.
Leipziger Stadtrat segnet neuen Mietspiegel ab
Update vom 19. Juni 2023: Mit einer klaren Mehrheit hat die Leipziger Ratsversammlung am 15. Juni 2023 dem Mietspiegel 2022 zugestimmt. Ohne Enthaltungen hieß es am Ende 47-mal „Ja“, die Fraktionen von CDU und Freibeutern hatten zehn Nein-Stimmen entgegengesetzt. Der Stadtratsbeschluss war notwendig, weil Haus & Grund Leipzig sowie die Plattform „wohnen bei uns“ der Leipziger Wohnungsgenossenschaften dem Entwurf des Mietspiegels ihre Zustimmung verweigert hatten. Der Mietspiegel tritt ab 24. Juni 2023 als qualifizierter Mietspiegel in Kraft.
Während der Ratsversammlung wies Stadtrat Sven Morlok im Namen der Freibeuter-Fraktion darauf hin, dass die Erhebung der Daten für den neuen Mietspiegel nicht rechtskonform erfolgt sei. Die Stadt habe die Erhebung vorgenommen, bevor der Sächsische Landtag die entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen hatte. Haus & Grund Leipzig prophezeit in einer Stellungnahme, dass der Mietspiegel viel Streit nach sich ziehen werde und seine Hauptaufgabe, für Rechtssicherheit und Verständigung zu sorgen, damit eklatant verfehle.
Querelen finden kein Ende: Gericht hebelt qualifizierten Leipziger Mietspiegel aus
Update vom 09. Februar 2024: Die Wohnungsgesellschaft BCRE (Brack Capital Real Estate) hat eine Klagewelle gegen den qualifizierten Mietspiegel der Stadt Leipzig ausgelöst, um Mieterhöhungen durchzusetzen. Diese Klagewelle sei laut Leipziger Medien in ihrem Umfang beispiellos gewesen. Anfang Februar konnte BCRE in ihrem Klageverfahren gegen den Leipziger Mietspiegel 2020 einen ersten Teilerfolg erringen. Wie die Leipziger Volkszeitung berichtete, hat das Amtsgericht Leipzig dem Immobilienkonzern in einer Vorab-Information mitgeteilt, dass es „nicht zu beanstanden“ sei, wenn der Hausbesitzer seine Forderung nach einer Mieterhöhung auf die Angaben dreier Vergleichswohnungen gestützt habe. Grund ist, dass der seinerzeit geltende Leipziger Mietspiegel 2020 nicht mehr qualifiziert gewesen sei. Nur wenn ein solches nach wissenschaftlichen Kriterien erstelltes Dokument vorliege, seien die Eigentümer verpflichtet, dies als Grundlage für Mieterhöhungen zu verwenden.
Dieses Vorab-Schreiben könnte ein Fingerzeig darauf sein, dass die Chancen des neuen BCRE-Eigentümers Tristan Capital bei der anstehenden Prozesswelle mit angeblich hunderten Klagen gut stehen. Der Fondsverwalter aus London hatte Anfang 2023 2.700 Wohnungen in Leipzig erworben und zahlreiche Mieterhöhungen verschickt. Wer diese nicht akzeptierte, erhielt eine Klage der neuen Eigentümer. In der Klagebegründung führt BCRE aus, dass der Mietspiegel spätestens alle zwei Jahre aktualisiert werden müsse. Der Leipziger Mietspiegel mit Datenerhebung 1. August 2020 könne daher nur bis 1. August 2022 als qualifiziert betrachtet werden. Da die nächste Datenerhebung aber erst am 1. Oktober 2022 stattfand, sei die Qualifizierung mindestens bis 1. Juni 2023 verloren gegangen.
Ronald Linke, Vorsitzender von Haus & Grund Leipzig, zu den Entwicklungen: „Die aktuelle Situation ist ein Scheitern mit Ansage. Haus & Grund Leipzig hat seit August 2022 innerhalb und außerhalb des Arbeitskreises Mietspiegel darauf hingewiesen, dass der Mietspiegel 2020 zu diesem Zeitpunkt seine Qualifizierung verloren hat und der damals in Vorbereitung befindliche Mietspiegel 2022 mangels Zuständigkeit der Stadt Leipzig nicht qualifiziert sein wird. Die Stadt Leipzig hätte die Möglichkeit gehabt, Anfang 2023 noch zu einem rechtskonformen Mietspiegel im Wege der Indexfortschreibung zu kommen, aber von dieser Möglichkeit ist aus politischen Gründen kein Gebrauch gemacht worden. Der Mieterverein Leipzig hat die Stadt Leipzig in dieser Bewertung noch bestärkt.“
Die Linke: „Eklatantes politisches Versagen wird ausgenutzt“
Update vom 30. April 2024: Die LVZ berichtete in ihrer Ausgabe vom 26. April, dass das Amtsgericht in der Auseinandersetzung um Mieterhöhungen durch den Großvermieter Tristan Capital Partners/ Brack Capital Real Estate (BCRE) den aktuellen Mietspiegel für nicht bindend erklärt. Der Vermieter hatte gegen mehrere Mieter geklagt, die Mieterhöhungen unter Berufung auf den Mietspiegel nicht zustimmen wollten. Die Fraktion Die Linke hatte zu Beginn der Klageverfahren eine Anfrage an die Stadtverwaltung gestellt, in der sie sich das Verfahren und die jeweils geltenden Rechtslagen genau hatte aufschlüsseln lassen. Nach Auffassung der Linken ist durch fehlende Übergangslösungen eine Grauzone entstanden.
Dazu erklärt Mathias Weber, wohnungspolitischer Sprecher der Linken im Stadtrat: „Die Verantwortung des Leipziger Mietspiegeldesasters liegt zu 100 Prozent bei der schwarz-rot-grünen Landesregierung in Dresden. Mit der Novelle des Mietspiegelgesetzes durch den Bund im August 2021, hatten die Länder ausreichend Zeit, die Zuständigkeiten zu regeln. CDU, Grüne und SPD haben es in Sachsen nicht vermocht, rechtzeitig das Mietspiegelzuständigkeitsgesetz zu beschließen. Damit fehlte der Stadt Leipzig laut Amtsgericht im Oktober 2022 die Grundlage zur Erhebung von Daten zur Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels. Dieses eklatante politische Versagen nutzen Immobilienkonzerne nun aus, um auf Kosten vieler Mieterinnen und Mieter in Leipzig die Miete jenseits des Mietspiegels zu erhöhen.
Warum das Amtsgericht den Mietspiegel, dessen sachliche Qualität evident ist, nicht wenigstens als einfachen Mietspiegel anerkennt, können wir nicht verstehen. Wir fordern den Oberbürgermeister auf, dem Stadtrat schnellstmöglich einen qualifizierten Mietspiegel zur Beschlussfassung vorzulegen. Ein eventuelles Berufungsverfahren würden wir sehr begrüßen und unterstützen. Als Linke sind wir keine Freunde des Mietspiegels, da er ein Begründungselement zur Mieterhöhung darstellt. Dennoch: Wie der Mietspiegel ins Rechtssystem eingebettet ist, bewirkt er einen gewissen Güterausgleich und stellt damit einen Rechtsfrieden her.“
Juliane Nagel, wohnungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion ergänzt: „Das Vorgehen von BCRE ist mieterfeindlich und belastet die Justiz. Wir hatten gehofft, dass das Gericht den Mietspiegel bestätigt. Stattdessen ist der Weg freigemacht worden für eine weitere dramatische Mietaufwärtsspirale im Bestand. Seit seinem Inkrafttreten versuchen Immobilienlobbyisten wie Haus und Grund und Unternehmen wie BCRE deshalb den qualifizierten Mietspiegel anzufechten. Wir befürchten, dass auch bei der Erstellung zukünftiger Mietspiegel kein Einvernehmen mit der Eigentümerseite zu erzielen ist – diese lehnt in Gestalt von Haus und Grund den qualifizierten Mietspiegel grundsätzlich ab.“
Die Linke apellierte zugleich an die Vermieter der Stadt, nicht auf den Zug aufzuspringen, sondern fair zu bleiben und keine Mieterhöhungen anhand von Vergleichsmieten vorzunehmen.