Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Während in Amerika derzeit eine Anti-Bewegung Anhänger rekrutiert, vernachlässigen in Deutschland viele Unternehmen das S und das G. Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, forderte bereits vor mehr als 50 Jahren Nachhaltigkeit. Über den aktuellen Stand in der Immobilienbranche sagt Thomas Heidelberger von REICON Consulting: „Viele schieben das Thema auf die lange Bank.“
Er ist einer der Pioniere: Bereits 1971 erklärte Klaus Schwab in seinem Buch „Moderne Unternehmensführung im Maschinenbau“, dass Unternehmen, um langfristig erfolgreich zu sein, nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern aller Interessenten bedienen müssten. Also aller Stakeholder. Der Gründer des Weltwirtschaftsforums ließ sich Jahrzehnte später in einem Zeitungsartikel wie folgt zitieren: „Ein Unternehmen ist ein soziales Organ. Es hat eine soziale Verantwortung. Wir brauchen langfristiges Denken in den Unternehmen, das alle Stakeholder der Gesellschaft miteinbezieht. Die Mitarbeiter, die Zulieferer, den Gesetzgeber, die Gesellschaft, die Aktionäre… Es geht nur gemeinsam.“
ESG ist zum Glaubenskrieg geworden
In einem Gastbeitrag für die NZZ spricht er ein Thema an, das nun hochkocht: „Was im Grunde genommen eine natürliche Entwicklung in einer modernen Gesellschaft sein sollte, ist leider zum Glaubenskrieg geworden.“ Gemeint ist damit die Anti-ESG-Bewegung, die in Amerika derzeit Anhänger sammelt. „Ein Unternehmen, das gut und transparent geführt ist, das seine Mitarbeiter fördert und die Umwelt schont, ist besser gerüstet, Kunden und Talente an sich zu binden. ESG-Verantwortung und glaubhafte Berichterstattung liegen somit im ureigenen Interesse der Aktionäre, da sie langfristig den Unternehmenserfolg steigern und somit eine Investition in die Zukunft darstellen.“
Klaus Schwab räumt allerdings auch ein, dass ESG in Verruf geraten sei. Die Gründe: Mangels normierter und vergleichbarer Kriterien entstehe „gewissermaßen ein berichtmäßiges Eldorado“, der Ausdruck „Greenwashing“ brandmarke das System, zudem bestehe die Gefahr einer Instrumentalisierung „durch aktivistische Minderheiten im Sinne einer Woke-Kultur“.
S- und G-Kriterien werden häufig vergessen
Auch die Immobilienbranche widmet sich immer stärker diesem Thema. Aber: „Viele Unternehmen in der Immobilienbranche schieben das Thema ESG noch immer auf die lange Bank“, sagt Thomas Heidelberger, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens REICON Consulting. „Dabei sollte Nachhaltigkeit schon längst keine lästige Pflicht, sondern ein elementarer Bestandteil der Unternehmenskultur und auch der Produkte und Services sein.“
Große, vor allem börsennotierte Unternehmen sind schon lange in dieses Thema eingestiegen. „Auf der anderen Seite stehen viele mittelständische Unternehmen, die teilweise Immobilienvermögen bis zu einer Milliarde Euro managen. Diese Gruppe hat die Relevanz jedoch noch nicht erkannt und sie wissen häufig nicht, wie sie das Thema angehen sollen. Dabei konzentrieren sich die Vertreter dieser Gruppe vornehmlich auf die ökologischen Gesichtspunkte – und vergessen dabei die S- und G-Kriterien.“
Nur: Ohne diese beiden Punkte gibt es kein gutes Scoring. „Dabei sind diese Kriterien häufig viel leichter umzusetzen als die E-Kriterien, die mit einem hohen Investitionsbedarf einhergehen“, so Thomas Heidelberger.
Strategieerstellung oft Frage der personellen Ressourcen
Bei Projektentwicklern tut sich genau an dieser Stelle eine Problematik auf: Oft werden Objektgesellschaften gegründet, die keine Angestellten haben. „Ohne S und G, kann kein Scoring bei den wichtigen ESG-Systemen ECORE oder GRESB erstellt werden. Wenn diese Kriterien aber bereits auf Unternehmensebene festgelegt wurden, kann in der ESG-Strategie der Objektgesellschaften darauf verwiesen werden.“
Bleibt die Frage, wie kompliziert die Erstellung einer ganzheitlichen Strategie ist. Dabei gehen die Meinungen sehr stark auseinander. Thomas Heidelberger fasst das so zusammen: „Aus unserer aktuellen Kundenumfrage wissen wir, dass dies sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Es hängt stark davon ab, wie sehr sich das Unternehmen bereits mit Nachhaltigkeit beschäftigt, Prozessbeschreibungen und Benefits entwickelt und sich generell digital aufgestellt hat. Auch die personellen Ressourcen spielen eine gewichtige Rolle. Nicht jedes Unternehmen kann einen ESG-Beauftragen zur Strategieentwicklung freistellen.“