Wohnungssuchende, Bauherren und Investoren ziehen sich vermehrt aus Berlin zurück. Die Gründe dafür sind zahlreich: Zu hohe Mieten und Kaufpreise, schwierige baupolitische Verhältnisse sowie zu wenig Bautätigkeit in der Hauptstadt befeuern die Stadtflucht intensiv. Interessante neue Jobgeneratoren wie das Tesla-Werk liefern weitere handfeste Argumente für das Umland. Warum es außerdem immer häufiger "Raus aus Berlin!" heißt.
Die Angebotspreise für Immobilien in Berlin steigen weiter. Die Analysten des Guthmann-Reports haben für Bestandsobjekte im März zwar eine moderate Steigerung von 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ermittelt. Im Segment Neubau zogen die Preise dagegen im gleichen Zeitraum um 22,4 Prozent erheblich an. Im Bestand liege der Median-Listenpreis damit derzeit bei rund 5.300 Euro pro Quadratmeter, im Neubau bei etwa 7.930 Euro.
Die Preisentwicklung wird von der Nachfrage getragen – eine Entspannung des Marktes ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: In Berlin wird nicht mehr, sondern weniger gebaut. Laut der aktuellen Meldung des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg wurden 2021 in der Hauptstadt 8,5 Prozent weniger Baugenehmigungen erteilt als im Vorjahr. Damit ist die Zahl zum fünften Mal hintereinander gesunken.
Zumindest im Berliner Umland wird gebaut
Die Gründe sind vielfältig und hinlänglich beschrieben: Vom Versagen der Wohnungspolitik in Berlin bis zu hohen Preisen fürs Bauland. Auch der Ukraine-Krieg wird Folgen für den Wohnungsmarkt haben. Plötzlich viele Menschen mehr sind in der Bedarfsrechnung nicht enthalten. Die Folge: Wer für sich und seine Familie vier Wände zum Kauf oder zur Miete sucht und die Preise nicht zahlen will oder kann, muss woanders suchen. Wer Häuser bauen will ebenfalls. Auch das zeigen die jüngsten Zahlen der Statistiker deutlich: Die Baugenehmigungen für Neubauten im Land Brandenburg sind 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 17,4 Prozent gestiegen.
The Grounds investiert in Erkner
Projektentwickler und Investoren wie The Grounds setzen auf das Umland. Jacopo Mingazzini, Vorstand des Unternehmens, erklärt: „Brandenburg bietet vielerorts attraktive Rahmenbedingungen für Wohnimmobilieninvestments und profitiert seit einiger Zeit von einer anhaltenden Zuwanderung aus Berlin, insbesondere ins Umland. Das hat zum einen mit dem angespannten Wohnungsmarkt in Berlin zu tun, aber eben nicht nur.“
Vielmehr gebe es in Brandenburg mittlerweile eine Reihe von kleineren regionalen Zentren, die aufgrund von Industrieansiedlungen und einer gut ausgebauten Infrastruktur eine eigene Anziehungskraft entwickeln. Dazu gehört die Region um den Flughafen BER und um die Tesla Fabrik im Osten und Südosten Berlins. The Grounds hat gerade in Erkner das Projekt Terra Homes mit 17 Doppelhäusern im Rahmen eines Forward Sales an einen professionellen Investor verkauft. Die Stadt liegt knapp neun Kilometer von der Tesla-Fabrik entfernt.
Auch Convivio, eines der größten Immobilienunternehmen Europas, engagiert sich hier und plant den Bau eines Komplexes mit 64 Wohnungen, fünf Penthäusern, Läden und Restaurants – direkt neben dem S-Bahnhof auf dem ehemaligen Areal eines Discounters: Die Stadtverordneten haben grünes Licht für weitere Planungen für das Projekt Flakenfließ Nord gegeben – trotz diverser Bedenken zum schwierigen Baugrund. Für Wohnbau geeignete Fläche gibt es nicht viele in der Stadt.
Tesla-Werk sorgt für neue Wohnprojekte im Berliner Umland
Die Produktion im Tesla-Werk in Grünheide ist inzwischen angelaufen. Ein erheblicher Bedarf an Wohnungen wird im Umfeld erwartet. Überall in den umliegenden Gemeinden sind die Preise für Grundstücke und Immobilien inzwischen deutlich gestiegen – von Schöneiche bis Grünheide. Denn Bauland ist überall knapp. Die Gemeinde Spreenhagen will daher einen Flächennutzungsplan für ein 36 Hektar großes Areal ändern, das als Wald-, Grün-und Landwirtschaftsfläche ausgewiesen ist. Es soll in eine Misch- und Wohngebietsfläche umgewandelt werden. Die Planung wird vom Brandenburger Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung gefördert, damit Voraussetzungen für Wohnungsbau geschaffen werden können. Ein Bebauungsplan ist frühestens im nächsten Jahr zu erwarten.
Nachfrageüberhang im Speckgürtel von Berlin rückt andere Gemeinden in den Fokus
Das Makler-Unternehmen Engel & Völkers sieht in einer Umland-Analyse den Südosten und Osten mit dem Flughafen BER und Tesla als ein deutliches Cluster. Doch nicht nur dort steigt die Nachfrage, sondern generell entlang der S- und Regionalbahn und in Wassernähe: Begehrt sind Immobilien rund um Potsdam, Schönefeld, Teltow und Königs-Wusterhausen. Nach Norden weichen viele Familien mit Kindern ins Grüne aus. Oranienburg, Bernau und Hohen-Neuendorf haben einen S-Bahnanschluss und liegen für Wohnungssuchende nicht mehr ab von Schuss.
Auch im Umland gebe es bereits einen Nachfrageüberhang, betonen die Analysten. Deshalb rücke in begehrten Lagen im Speckgürtel die zweite Reihe in den Fokus. „Großes Potenzial für einen solchen Effekt bietet hierbei zum Beispiel der Landkreis Teltow-Fläming, der aktuell das geringste Preisniveau aufweist. Aufgrund der hohen Preise in Potsdam und Potsdam-Mittelmark dürften die bekannten Effekte auch hier nicht lange ausbleiben.“
Der Immobilienspezialfond Deutsche Investment – Wohnen V hat gerade in der flughafennahen Gemeinde Blankenfelde-Mahlow im Landkreis Teltow-Fläming Am Lückefeld ein Wohnensemble mit 126 Wohnungen für 32,5 Millionen Euro von der TREUCON-Gruppe erworben. Enver Büyükarslan, Direktor Vertrieb und Transaktionsmanagement bei der Deutsche Investment Kapitalverwaltung AG, erklärt zur Anlagestrategie: „Mit der positiven Bevölkerungsentwicklung im Berliner Umland steigt auch dort die Nachfrage nach Wohnraum. Zentrale Treiber hierfür sind unter anderem das unzureichende Wohnungsangebot in Berlin, die inzwischen sehr gute infrastrukturelle Anbindung der angrenzenden Regionen sowie, im Falle dieser Liegenschaften, die Ansässigkeit namhafter Arbeitgeber in nächster Nähe, wie Mercedes Benz, Lufthansa und künftig auch Tesla in verstärkter Form.“
Nur ein paar Kilometer weiter westlich entwickelt die Berliner Firma Evanka Invest derzeit eines der größten Bauvorhaben der Automobilbauerstadt Ludwigsfelde, einem der wichtigsten Ballungszentren im Umland. Bis 2024 lässt das Unternehmen das Ludwig Quartier errichten – mit elf Häusern und insgesamt 100 Eigentumswohnungen.
„Städte in der zweiten Reihe“ immer attraktiver
The Grounds investiert an weiteren Standorten in Speckgürtel-Gemeinden. Im Fokus stehen Dallgow-Döberitz, Bernau oder Kremmen, wo eine hohe Nachfrage nach Wohnungen besteht. „Ähnliche Entwicklungen beobachten wir in kleinerem Maßstab aber auch an anderen Orten rund um Berlin“, sagt Jacopo Mingazzini. Sogar etwas weiter von Berlin entfernte regionale Lagen mit entsprechender Infrastruktur und positiver Einwohnerentwicklung kommen infrage, so zum Beispiel rund um Fürstenwalde oder auch Eberswalde. Die circa 40 Kilometer nordöstlich von der Berliner Stadtgrenze entfernte Stadt wächst seit 2013 kontinuierlich.
Sie gilt als „Stadt in der zweiten Reihe“, als attraktiver Wohnort für Menschen aus dem Umfeld von Berlin. Den Bürgern wurden vor kurzem auf einer Mitmachplattform Leitlinien und Projektideen für ein Zukunftsquartier rund um den Bahnhof zur Diskussion gestellt. Denn mit der guten Lage zu Berlin und seiner zentralen Lage in der Stadt Eberswalde werde das Bahnhofsumfeld immer wichtiger. Die steigende Attraktivität hat aber wie überall eine Kehrseite: Mieten, Grundstückspreise und Baukosten steigen. Bauland für Eigenheime ist rar und begehrt.
Bei einem Bieterverfahren für 16 kommunale Parzellen für den Eigenheimbau gingen im vergangenen Jahr mehr als 100 Gebote ein. Die Kommunalpolitiker befürchten eine Verdrängung der Einheimischen durch finanzkräftige Zuzügler, nicht nur aus Berlin. Sie arbeiten deshalb an einer Richtlinie mit dem Ziel, beim Verkauf kommunaler Grundstücke Familien und langjährige Einwohner zu bevorzugen. Das „Einheimischen-Modell“ soll Ende des Jahres veröffentlicht werden und 2023 in Kraft treten.