In Berlin wird über die Enteignung von Wohnungsunternehmen gestritten. Die Diskussion, angeheizt durch eine Initiative, die einen Volksentscheid über die Frage erwirken möchte, geht in die entscheidende Runde. Die Branche ist alarmiert.
In den kommenden Monaten wird in Berlin verstärkt getrommelt: Die Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ geht in die zweite Runde. Nun muss das Bündnis gut 175.000 Unterschriften sammeln, damit es im Herbst zum Volksentscheid kommen könnte. Stimmen die Berliner vermutlich am Tag der Bundestagswahl am 26. September mehrheitlich für „Ja“, passiert das, was bis vor kurzem kaum ein Beobachter oder Marktteilnehmer für möglich gehalten hätte: Der Berliner Senat muss ein Gesetz zur Enteignung – beziehungsweise „Vergesellschaftung“ – von Wohnungsunternehmen erarbeiten. Eine solche Gesetzesvorlage gibt es bisher nicht, es wäre ein bundesweites Novum.
Immobilienbranche setzt auf Neubau
Die Branche, deren Gegenkampagnen im Vorfeld von eher mäßigem Erfolg gekrönt waren, konzentriert sich in ersten Reaktionen auf den Appell, auf Neubau statt Regulierung zu setzen. „Es bleibt bei unserer Haltung, dass durch den Entscheid keine einzige Wohnung neu gebaut, sondern im Gegenteil der Bau bezahlbarer Wohnungen verhindert wird“, sagt der Sprecher des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), David Eberhart. Ähnlich äußert sich die Geschäftsführerin des Berliner Verbands der freien Wohnungsunternehmen BFW, Susanne Klabe. Der Entscheid schrecke diejenigen ab, die Neubau realisieren wollen und sich fragen müssen, ob privates Immobilieneigentum in Berlin eine Zukunft hat. Sie sieht Berlin als Standort für Immobilieninvestitionen bedroht. „Und dabei reden wir auch und gerade von Mietwohnungsbau.“
Zuvor waren im Januar Gespräche der Fraktionschefs von SPD, Linken und Grünen mit Vertretern der Volksinitiative ergebnislos zu Ende gegangen. Beide Seiten konnten sich nicht auf die Vorlage für einen Beschluss im Abgeordnetenhaus zur „Vergesellschaftung“ von Wohnungen einigen, genauso wenig wie auf andere Maßnahmen zum Lindern der angespannten Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt.
Enteignungen träfen vor allem die Deutsche Wohnen
Die Initiatoren des Begehrens wollen Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen im Bestand enteignen. Betroffen wäre je nach Schätzung und Rechnung etwa ein Dutzend Unternehmen – allen voran die Deutsche Wohnen, die zu dem Thema inzwischen Standardreaktionen formuliert hat mit dem Inhalt, dass Enteignungen nichts zur Lösung der Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt beitragen. Der Europa-Chef des Immobilienunternehmens Akelius, Jordan Milewicz, rechnet vor, dass mit den für die Enteignungs-Entschädigungszahlungen vorgesehenen Mitteln „fast doppelt so viel Wohnraum durch Neubau geschaffen werden“ könnte.
Angezählt sind allerdings auch Genossenschaften oder eher gemeinwohlorientierte Unternehmen wie die Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS), ein kirchliches Wohnungsunternehmen mit etwa 10.000 Einheiten aus eigenem und fremdem Bestand in der Verwaltung. Zwar hätten die Koalitionsparteien signalisiert, dass die HWS ungeachtet der Größe nicht betroffen sein werde, erklärt Sprecherin Lara Rentmeister. „Die Aussicht auf einen Volksentscheid verunsichert uns“, sagt sie gleichwohl. „Wir fühlen uns unfair behandelt.“ Sie verweist darauf, dass die HWS vorwiegend öffentlich geförderte Mietwohnungen baue und alles andere sei als ein Immobilienhai.
Schwierige Monate für Wohnungsunternehmen
Die Frist für eine parlamentarische Befassung mit dem Anliegen der Initiative ist am 24. Januar abgelaufen. Die Initiatoren haben nun vier Monate Zeit, die erforderlichen Stimmen zu sammeln. BBU-Sprecher Eberhart sieht eine schwierige Zeit auf Wohnungsunternehmen zukommen. In die Unterschriftensammel-Periode könnte das Mietendeckel-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes fallen. Kippt der Deckel, kommen auf Mieter teils empfindliche Nachforderungen zu. „Dadurch sehen sich natürlich die Enteignungs-Befürworter beflügelt.“
Eine Gegenkampagne über die bestehenden Internetportale und Gutachten hinaus ist nicht angedacht. Zum einen ist es schwer bis unmöglich, dem schwarz-weiß-Denken der Enteignungsbefürworter etwas entgegenzusetzen, wie David Eberhart sagt. Zum anderen wird mit harten Bandagen gekämpft: Vor mehr als einem Jahr hatte die Linke auf einem Parteitag beschlossen, dass die landeseigenen Wohnungsunternehmen im Zweifel den Verband verlassen sollten, falls der sich gegen eine Enteignung stellt.
Stimmensammeln unter Corona-Bedingungen
Die Organisatoren des Volksbegehrens sind optimistisch und rechnen damit, dass sich eine Mehrheit der Berliner Bevölkerung für ihre weitreichenden Forderungen aussprechen wird – obwohl das Stimmensammeln unter Corona-Bedingungen nicht optimal verlaufen kann. Welche Hypothek ein „Ja“ bei der Abstimmung im September für Koalitionsverhandlungen auf Landesebene bedeuten würde, bleibt abzuwarten: Am selben Tag entscheiden die Berliner nämlich auch über ihr Abgeordnetenhaus.
Bilanz zum Mietendeckel: Wenig Verstöße, viele kreative Versuche