Wien: „Ohne Änderungen stürzen wir in eine nie dagewesene Krise“

Wien: „Ohne Änderungen stürzen wir in eine nie dagewesene Krise“

Wien: „Ohne Änderungen stürzen wir in eine nie dagewesene Krise“
Quelle: Ivette Wagner

Die österreichische Hauptstadt galt lange als Vorbild im Bereich Wohnungsbau. Die Fachgruppe der Wiener Immobilientreuhänder macht bei einer Pressekonferenz klar, dass sich das wohl ändern wird.

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Die Sorgen auf dem österreichischen Immobilienmarkt sind groß: „Sanierungen werden kaum realisiert, Neubau gibt nur sehr wenig. Noch haben wir ein Angebot, es wird aber knapp werden“, sagt Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe der Immobilen- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Wien bei einer Pressekonferenz. Die österreichische Hauptstadt habe die meisten unsanierten Altbauten des Landes und damit den höchsten Sanierungsbedarf. „Der Rückgang in allen Bereichen ist dramatisch, ohne rasche Änderungen stürzen nicht nur unsere Unternehmen, sondern auch der Wiener Immobilienmarkt in eine schwere, noch nie da gewesene Krise.“ Die Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer Wien vertritt rund 4.000 Unternehmen mit über 11.500 Beschäftigten und 66 Lehrlingen. Diese sind für zwei Drittel des Marktes verantwortlich. Wien benötige pro Jahr 11.000 bis 14.000 Wohnungen pro Jahr, die Gemeinnützigen liefern davon 5.000 bis 6.000. Heißt: Diese Lücke muss geschlossen werden. Von der Politik fordert er als wesentlichen Teil der Wirtschaft Vertrauen auf Bauen. Das ist der neue Slogan, hinter dem  – ähnlich der Forderungen in Deutschland – gute Rahmenbedingungen für den Bau, Zusammenarbeit, weniger Regulierung und ein fairer Interessensausgleich stehen. „Das, was jetzt gebaut wird, kommt in eine Zeit des Mangels“, so Michael Pisecky. Damit verbunden seine Bitte an die Banken: „Haben sie Mut zum Finanzieren!“

Hans Jörg Ulreich, Mitglied des Fachgruppenausschusses Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder und selbst seit vielen Jahren im Wohnungsbau mit seinem Unternehmen tätig, widmet sich zuerst der Sanierung: „Revitalisierung kostet doppelt so viel wie ein Neubau. Das wäre wie eine Umwandlung eines Fiakers in ein Elektrotaxi. Zumindest ist das mein Bild dazu.“ Ein Drittel der Baukosten bezeichnet er als unnötig, in Österreich baue man viel zu teuer, es brauche mehr Vertrauen in Techniker und Experten. „Aus der Technischen Universität Wien gehen Experten und Techniker hervor, die alle direkt klein gemacht werden, weil alles konserviert wird. Das Stadtbild muss sich verändern, weil sich die Welt verändert. Wir wollen nicht in einem Museum wohnen.“ Es sei Zeit für Aufstockungen und Nachverdichtungen sowie Innenentwicklungen. Michael Pisecky fügt an: „Die kommenden Monate werden für uns alle entscheidend. Wir brauchen Sofortmaßnahmen, um die Folgen der aktuellen Krisen abzumildern. Dafür braucht es allerdings eine intensive Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“

Der Wiener Wohnungsmarkt zeichnet sich durch einen hohen Anteil an leistbarem, reguliertem Wohnraum aus. Rund 60 Prozent der Wohnungen in der Stadt gehören zum sozialen Wohnbau – darunter fallen sowohl Gemeindewohnungen als auch geförderte Neubauten. Die restlichen 40 Prozent sind Teil des gewerblichen Mietwohnungsmarkt. Auch hier ist ein Großteil preislich reguliert: Etwa 70 Prozent der gewerblichen Mietwohnungen unterliegen gesetzlichen Mietpreisgrenzen, wie sie etwa im Mietrechtsgesetz festgelegt sind. Nur rund zwölf Prozent der Mietverhältnisse werden zu freien Konditionen abgeschlossen, etwa bei Neubauten oder nach umfassender Sanierung. Insgesamt sind damit etwa 88 Prozent aller Mietwohnungen in Wien preislich reguliert, so das Amt für Statistik.

Quartalszahlen: Wohnsegment stabil

Im ersten Quartal 2025 zeigt sich der österreichische Immobilieninvestmentmarkt weiterhin von einer verhaltenen Stimmung geprägt, so die Analyse von EHL Immobilien aus Wien. Das Transaktionsvolumen lag mit rund 270 Millionen Euro unter dem Vorjahreswert, was vor allem auf die restriktive Kreditvergabe und wirtschaftspolitische Unsicherheiten zurückzuführen ist. Dennoch nehmen das Interesse und die Prüfungsaktivitäten seitens der Investoren spürbar zu. Der Wohnimmobilienmarkt zeigt sich unter diesen Bedingungen vergleichsweise stabil. Mit einem Anteil von rund 18 Prozent am Transaktionsvolumen zählt Wohnen weiterhin zu den gefragten Anlageklassen. Besonders nachgefragt sind Bestandsobjekte, während Verkäufe von Neubauten aufgrund der aktuell geringen Bautätigkeit kaum stattfinden. In Wien bewegen sich die Spitzenrenditen für Wohnobjekte zwischen 4,25 Prozent und 4,75 Prozent, in den Bundesländern zwischen 4,75 Prozent und 5,25 Prozent. Die hohe Wohnraumnachfrage und das Bevölkerungswachstum in urbanen Zentren stützen diese Entwicklung.

Neben Wohnen zählen Büroimmobilien mit 46 Prozent weiterhin zur dominierenden Assetklasse – allerdings resultierte dieser Anteil nur aus zwei Transaktionen. Logistik, Hotels und Serviced Apartments lagen jeweils ebenfalls bei rund 18 Prozent. Das Interesse konzentriert sich auf gut gelegene, nachhaltig vermietete Objekte. Einzelhandel verzeichnet Investitionen vor allem in bestehende Fachmarktzentren, während Neuentwicklungen kaum im Fokus stehen.

Historie: Wien als Vorbild im Wohnungsbau

Wien gilt international als historisches Vorbild im sozialen Wohnungsbau – insbesondere mit Blick auf die Zwischenkriegszeit und die Phase des sogenannten „Roten Wien“ in den 1920er-Jahren. Nach dem Ersten Weltkrieg führte die Stadt eine umfassende Wohnungspolitik ein, die auf Gemeinwohlorientierung, leistbares Wohnen und städtebauliche Qualität setzte. Finanziert wurde der soziale Wohnbau unter anderem durch eine eigens eingeführte Wohnbausteuer sowie durch Luxusabgaben, etwa auf Automobile und Champagner.

In dieser Phase entstanden in Wien rund 60.000 kommunale Wohnungen in über 380 Anlagen. Prominente Beispiele sind der Karl-Marx-Hof oder der Reumannhof, die nicht nur Wohnraum schufen, sondern auch soziale Infrastruktur wie Waschküchen, Kindergärten und Bibliotheken integrierten. Die Architektur dieser Anlagen war funktional, lichtdurchflutet und vielfach mit begrünten Innenhöfen ausgestattet – ein damals revolutionärer Ansatz für städtisches Wohnen. Wien blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg dem sozialen Wohnbau verpflichtet.