Die Schlagzeilen kommen jeden Tag: Die Immobilienblase platzt. „Besonders emotional aufgeladen“ nennt beispielsweise Colliers das Wohninvestmentsegment. VALUE spricht von einer Vollbremsung. IMMOBILIEN AKTUELL stellt die aktuellen Zahlen und Meinungen vor.
Ein Zitat schwebt über allen anderen: „Der Boom geht zu Ende.“ Das sagt Maximilian Kunkel, Chefanlagestratege für UBS in Deutschland. Laut dem UBS Global Real Estate Bubble Index trifft das aber nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. 25 Metropolen werden dafür weltweit betrachtet. Die schlechte Nachricht: Frankfurt am Main zeigt nach Toronto sogar das höchste Risikoniveau aller Wohnungsmärkte weltweit.
Neben Zürich, Hong Kong, Vancouver und Amsterdam wird in diesem Negativ-Kreis auch München genannt. „Das Risiko einer Immobilienblase ist in beiden Städten weiterhin so hoch wie in kaum einer anderen Metropole auf der Welt. Gerade Investoren, die aus Renditeüberlegungen Käufe in diesen Regionen Deutschlands erwägen, sollten derzeit Vorsicht walten lassen“, so Maximilian Kunkel. Die Preisentwicklung von Wohneigentum habe deutlich an Dynamik verloren.
Frankfurter Wohnungsmarkt durch Wohnungsknappheit gekennzeichnet
Hatte man sich in der Vergangenheit in Frankfurt am Main über meist zweistellige Preissteigerungen in Rekordmeldungen gefreut, sind es laut UBS zwischen Mitte 2021 und Mitte 2022 nur noch etwa fünf Prozent. Auch wenn die Wohnungspreise mehr als 60 Prozent über dem Niveau von vor fünf Jahren liegen, als die Nachfrage noch groß war, sehen die Experten heute einen historisch niedrigen Leerstand und gesteigerte Neubautätigkeiten – trotz stagnierendem Bevölkerungswachstum seit Beginn der Pandemie.
Die Tendenz zu kleineren Haushaltsgrößen verschärft die Wohnungsknappheit und kann voraussichtlich nur durch weitere Neubauprojekte abgeschwächt werden. Investitionen in Mietobjekte gelten zugleich zunehmend als unattraktiv, was die Nachfrage nach zum Verkauf stehenden Immobilien verringert. Steigende Finanzierungskosten und schwache wirtschaftliche Wachstumsaussichten für 2023 würden die Stimmung zusätzlich dämpfen. Für München ergibt sich ein ähnliches Bild: Zurückhaltende Konjunkturaussichten belasten die Wohnungsnachfrage, höhere Hypothekenzinsen verschlechtern die Erschwinglichkeit.
Emotional aufgeladener Wohnimmobilienmarkt
Felix von Saucken, Head of Residential Germany bei Colliers, sieht einen Wohnimmobilienmarkt, der „besonders emotional aufgeladen ist“. Im Marktbericht Residential Investment Deutschland 2022/2023 findet sich der Hauspreisindex, der die durchschnittliche Preisentwicklung für Wohnimmobilien zeigt. Er stieg von 2010 bis Ende 2021 um 83 Prozent. „Im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften wie Großbritannien oder Frankreich verzeichnete Deutschland den höchsten Anstieg und liegt auch deutlich über dem EU-Durchschnitt von 36,5 Prozent“, heißt es in dem Bericht. Ein Grund dafür seien die hohen Baukosten, die in Deutschland höher liegen als in anderen Staaten.
„Wohnungen rechnerisch ausreichend vorhanden“
„Deutschlandweit betrachtet sind rein rechnerisch Wohnungen in ausreichender Zahl vorhanden, um ein gesundes Marktgeschehen zu ermöglichen“, heißt es bei Colliers weiter. Nur: Sie sind eben nicht so verteilt, wie es sein müsste. In den Metropolregionen und den großen Städten fehlen sie. Nun gehen die Baugenehmigungen zurück, die Baukosten steigen, Projekte werden verschoben.
„Bei den Investoren gewinnt die Assetklasse Wohnen weiter an Beliebtheit. Das Investitionsvolumen legte bei den Gewerbeimmobilien leicht zu. Dagegen markierten die Wohninvestments mit 105 Milliarden Euro einen absoluten Rekordwert, der vor allem durch die Großübernahme der Deutsche Wohnen durch Vonovia geprägt war. Doch auch im kleinteiligeren Geschäft ist das Volumen höher denn je“, so die Experten von Colliers. Allerdings basieren diese Aussagen auf nicht ganz aktuellen Zahlen.
Colliers: Münchner Wohnungsmarkt „in Multikrise widerstandsfähig“
Wo UBS eine Blase sieht, konstatiert Colliers einen Münchner Wohnungsmarkt, der „in der Multikrise widerstandsfähig“ sei. Immerhin darf sich die Stadt mit einem Titel schmücken: für Mieter wie für Käufer bleibt München die teuerste Metropole. Das Wohnungsangebot wird sich in Relation zur Nachfrage weiter verknappen. Die deutlich gestiegenen Zinsen und Baukosten sorgen für einen signifkanten Rückgang der Fertigstellungen.
„Gestiegene Finanzierungskosten setzen Faktoren unter Druck, wohingegen steigende Mieten sich stabilisierend auf die Preise pro Quadratmeter auswirken“, sagt Felix Kugler, Senior Director Residential München bei Colliers. „Institutionelle Investoren können deshalb längerfristig mit höheren Renditen rechnen.“ Die derzeit zu beobachtende abwartende Haltung vieler professioneller Investoren bei den sogenannten Forward-Deals löse sich auf, sobald die Märkte mehr Klarheit zur Preis-, Miet- und Zinsentwicklung gewonnen haben und die Baukostensteigerungen wieder besser abzuschätzen sind.
UBS sieht das etwas anders: Während die Zinsen rasant gestiegen seien und sich die Konjunkturaussichten eintrübten, schmälere die hohe Inflation die Kaufkraft der Haushalte. Damit sei der weiter robuste Arbeitsmarkt in vielen Städten die letzte Stütze des Eigenheimmarktes. Anders als viele Experten, die nur eine Abschwächung des Immobilienbooms erwarten, warnt die UBS vor heftigen Folgen: In vielen der sehr hoch bewerteten Städte sei in den nächsten Quartalen „mit erheblichen Preiskorrekturen zu rechnen“.
Felix von Saucken, Head of Residential bei Colliers, widerspricht: „Anders als in dieser Studie unterstellt, wird die Bautätigkeit nicht auf ihrem derzeit schon der Nachfrage hinterher hinkenden Niveau verbleiben, sondern zurückgehen.“ Sein Fazit: „Steigende Zinsen und steigende Mieten führen bei sinkenden oder stabilen Kaufpreisen zu einer höheren Attraktivität von Immobilieninvestments. Die damit verbundenen Risiken steigen nicht, sie nehmen ab.“
Europace: „Preisrückgänge in den Metropolen“
Laut den Experten von Europace stagniere die Preisentwicklung im Wohnmarkt bei einem höheren Angebot. „Im Zwölf-Monatsvergleich wachsen die Kaufpreise weiterhin, schauen wir auf den Verlauf pro Monat wird ein leichtes Absinken der Preise deutlich“, sagt Stefan Münter, Co-CEO und Vorstand von Europace. Er weist auf einen Wechsel vom Verkäufer- zum Käufermarkt hin. Während die ersten keine niedrigen Angebotspreise akzeptieren wollen, warten die anderen auf fallende Preise.
„Wer jetzt nicht bauen muss, baut nicht.”
„Außerdem verdeutlicht die Analyse Preisrückgänge in den Metropolen im Vergleich zum zweiten Quartal. In Metropolen wie Düsseldorf, Frankfurt am Main und Berlin beruhigt sich der Kaufmarkt etwas. Gleichzeitig ziehen die Zinsen weiter an. Und wir sehen, dass die Nachfrage nach Neubauten zurückgegangen ist und der Kauf von Bestandsimmobilien wächst. Wer jetzt nicht bauen muss, baut nicht”, so Stefan Münter weiter.
Value: „Vollbremsung auf dem Wohnungsmarkt“
„Die Märkte sind konfrontiert mit der Zeitenwende. Die Zinsen und die Umlaufrenditen haben sich im vergangenen Quartal aber zum Zünglein an der Marktwaage entwickelt“, sagt Sebastian Hein, Leiter von VALUE Marktdaten. „Noch nie sind die Finanzierungskosten für den Immobilienkauf in so kurzer Zeit so schnell gestiegen und noch nie haben sich die Zinsrelationen von Immobilien- und Staatsinvestments so stark und so schnell verschoben.“
Dies mache die Immobilienvermarktung schwerer, viele potenzielle Käufer weichen daher auf den Mietwohnungsmarkt aus – oder das Umland der Metropolen, denn hier kommen die Zinseffekte wegen des niedrigeren Preisniveaus nicht ganz so gravierend zum Tragen. „Daher sinken zurzeit die Preise in den Metropolen auch schneller als im Rest der Republik und die Mieten steigen seit Jahren erstmals stärker als die Kaufpreise. Die Situation macht Mietern das Leben noch schwerer.“ Mit „Vollbremsung auf dem Wohnungsmarkt“ überschreibt VALUE die aktuellen Analysen.
Ähnlich äußert sich Sparkassenpräsident Helmut Schleweis im Handelsblatt: Hinsichtlich der Baufinanzierungen sei „die Nachfrage von einem Tag auf den anderen eingebrochen“. Laut JLL sank in den ersten neun Monaten dieses Jahres das Transaktionsvolumen auf 10,2 Milliarden Euro – ein Rückgang im Jahresvergleich um mehr als die Hälfte. Und nicht nur bei der EXPO war sehr deutlich zu spüren: Mit einer Jahresendrallye rechnet niemand mehr.