Ein Situationsbericht vom Wohnungsmarkt sechs Monate nach dem Mietendeckel-Aus: Die Mieten in der Hauptstadt halten nicht mit Inflation und Baupreisentwicklung mit und die Preise für Wohneigentum steigen weiter.
Der Immobilienberater Colliers meldet in seinem aktuellen Marktüberblick 2021/2022 für Berlin einen Anstieg der durchschnittlichen Neuvertragsmiete in der Hauptstadt. Sie liegt demnach im Bestand bei 10,30 Euro pro Quadratmeter im Monat, also 0,20 Euro und damit rund zwei Prozent höher als im Mietendeckel-Jahr 2020. Das sind jedoch 0,20 Euro weniger als 2019, wie die Zeitreihe zeigt. In Berlin ist das Mieten damit deutlich billiger als in den anderen deutschen Top-7 Städten. Bei Neubaumieten werden nach Angaben der Analysten durchschnittlich 16,45 Euro verlangt. Die Hauptstadt rangiert mit diesem Wert hinter München, Frankfurt und Stuttgart. Analysiert wurden Daten der Value AG für unmöblierte Wohnungen ab 35 Quadratmeter im preisfreien Segment.
Hat Berlin eine gültige Mietpreisbremse?
Der ermittelte Wert für durchschnittliche Neuvertragsmieten im Bestand wirft Fragen auf. Der Mietendeckel wurde im April gekippt. Aber wie verhält es sich mit der Mietpreisbremse? Ein Betrag von 10,30 Euro übertrifft die Mehrzahl der durchschnittlichen Mieten nach Baualtersklassen im aktuellen Berliner Mietspiegel: Nur bei Neubau ab 2003 überschreiten sie mehrheitlich die zehn Euro. Bei Altbauwohnungen bis 1949 und im Neubau bis 2002 liegen die Durchschnittswerte mit wenigen Ausnahmen weit unter zehn Euro.
Bei einer gültigen Mietpreisbremse dürfte eine Miete bei Neuvertragsabschluss nur zehn Prozent über der Mietspiegelmiete liegen. Selbst bei Spannenoberwerten lässt sich in den meisten Fällen mit einem Aufschlag von zehn Prozent keine Neuvertragsmiete von 10,30 Euro errechnen. Martina Rozok, verantwortlich für Presse bei Colliers, erklärt zum ermittelten Wert: „Darin sind auch Angebote enthalten, für die die Mietpreisbremse aufgrund von Ausnahmeregelungen keine Anwendung findet, zum Beispiel bei grundsanierten Wohnungen, wenn die Miete des Vormieters bereits höher war und auch solche, bei denen die Mietpreisbremse schlicht missachtet wird.“
Strittig ist, ob in Berlin die Mietpreisbremse überhaupt gilt. Die gebremste Miete muss auf Basis der ortsüblichen Vergleichsmiete ermittelt werden. Aufgrund des Mietendeckels hatte der Berliner Senat jedoch keine neuen Daten für den Mietspiegel 2021 erhoben, sondern den bereits fortgeschriebenen Mietspiegel 2019 noch einmal fortgeschrieben. Damit sei er rechtswidrig erstellt, wie der Jurist Hans-Joachim Beck auf der Webseite des Eigentümerverbandes Haus und Grund erklärt. Das Zahlenwerk weist lediglich eine Mietsteigerung von 1,1 Prozent aus. Seit dem 13. Mai 2021 fehlt nach Meinung von Mietspiegel-Experten wie Prof. Steffen Sebastian daher ein gültiger Mietspiegel, damit könne auch die Mietpreisbremse nicht gelten.
Mietpreisbremse wird im Berliner Mietmarkt trotz strittiger Gültigkeit großräumig beachtet
Einen Marktanteil von 44 Prozent bei Vermietung decken die Mitgliedsunternehmen des Verbandes Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) ab, das sind die Landeseigenen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften. David Eberhart, BBU-Pressesprecher, betont: „Unsere Mitgliedsunternehmen halten sich an die Mietpreisbremse.“ Neuvertragsmieten lagen 2019 im Durchschnitt bei 7,80 Euro – bis Ende des Jahres 2021 geht er von einem Anstieg auf rund acht Euro aus. Darin enthalten sind auch die Erstvermietungen von Neubauwohnungen. Die durchschnittliche Bestandsmiete wird für 2021 mit 6,45 Euro prognostiziert.
Sein Kollege Marko Rosteck, Pressesprecher der Deutschen Wohnen SE, bestätigt: „Wir berücksichtigen bei jeder Vermietung die Mietpreisbremse. Auch beim Ausnahmetatbestand der umfassenden Sanierung findet die Mietpreisbremse Berücksichtigung, beispielsweise indem die vorvertragliche Auskunft erteilt wird.“ Ähnlich lautet die Auskunft von Michael Lippitsch für den privaten Großvermieter Heimstaden: „Das Unternehmen hält sich grundsätzlich immer an die Regeln der Mietpreisbremse. Modernisierungen spielen im Berliner Portfolio von Heimstaden keine große Rolle, da der Großteil der Berliner Heimstaden Wohnungen in Milieuschutzgebieten liegt, wo dies nur durch komplexe Genehmigungsverfahren möglich wäre.“
Nachfrage nach Wohnungen zur Miete bleibt ungebrochen hoch
Für Statistiken werden oft die Angebotsmieten von Vermietungsportalen im Internet herangezogen. „Aber Portalmieten sind keine Realmieten“, sagt David Eberhart vom BBU. Laut einer Umfrage unter den Verbandsmitgliedern werden ohnehin nur ein Drittel der Wohnungen über Wohnungsportale angeboten, die Mietwerte fließen in keine Statistik ein. „Die Genossenschaften arbeiten ihre Wartelisten ab“, sagt er. Die landeseigenen Unternehmen bieten ihre Wohnungen über eigene Webseiten an.
Die Nachfrage nach Wohnungen in Berlin ist ungebrochen hoch und übersteigt bei weitem das Angebot. Private Vermieter berichten, dass sie auf eine Wohnungsanzeige binnen zwölf Stunden über 1.200 Anfragen erhalten. Höhere Mieten ließen sich also vereinbaren. Der Mietrechtsanwalt Tobias Scheidacker schreibt in seinem Blog: „Die Situation um den Berliner Mietspiegel hat dazu geführt, dass Mietgutachter derzeit gefragt sind.“ Er hat eine entsprechende Liste veröffentlicht. Denn für die Begründung einer Mieterhöhung oder eine Neuvertragsmiete können auch die Mieten von drei Vergleichswohnungen herangezogen werden.
Eine andere Lösung für das Problem: Um höhere Mieten als die Mietspiegelmieten zu realisieren und dabei nicht gegen Gesetze zu verstoßen, werden Wohnungen zunehmend möbliert vermietet. Laut einer Studie von F+B ist deutschlandweit der Anteil an möblierten Wohnungen am gesamten Vermietungsmarkt 2020 auf 18,3 Prozent gestiegen. Die Analysten gehen davon aus, dass die Mieten in diesem Marktsegment weiter steigen, wenn auch nicht mehr so schnell wie in den Jahren zuvor.
Keine Entspannung in Sicht: Mieten in Berlin werden weiter ansteigen
Mit Blick auf die Inflationsrate von derzeit 4,1 Prozent und der rasanten Baupreisentwicklung ist ein Anstieg der Mieten wirtschaftlich folgerichtig. Das gilt für Wohnungen im Bestand und Neubau gleichermaßen. Der BBU hat ermittelt, dass die Preise für die Instandhaltung 2020 um 4,2 Prozent gestiegen sind, im Neubau um 3,1 Prozent. Seit Beginn des Jahres 2021 nimmt die Preisentwicklung an Fahrt auf. Im August 2021 lagen die Preise für Neubau um 12,3 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Schönheitsreparaturen haben sich laut des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg im gleichen Zeitraum um 7,8 Prozent verteuert, die Instandhaltung von Wohngebäuden sogar um 9,8 Prozent. David Eberhart kennt die Zahlen für Neubau-Vorhaben der Mitgliedsunternehmen: „Die Kosten sind von 2018 bis 2021 um 36 Prozent gestiegen.“ Schnell steigende Kosten bei gebremsten Mieten führen dazu, dass pro Euro und damit insgesamt weniger Instandhaltung, Modernisierung und Klimaumbau möglich sind.
Auch bei der Nachfrage zeichnet sich keine Entspannung ab. Zwar ist die Bevölkerungszahl in Berlin laut des Amtes für Statistik im ersten Halbjahr 2021 stabil geblieben und liegt derzeit bei rund 3,66 Millionen. Der Colliers-Bericht nimmt jedoch Bezug auf aktuelle Bevölkerungsprognosen. Demnach ist mit einem Wachstum der Haushalte und Einwohner um drei Prozent bis 2030 zu rechnen. Demgegenüber sinken seit Jahren die Baugenehmigungen für Wohnungen, auch die Zahl der Fertigstellung hinkt dem Bedarf hinterher. 2020 sind 14 Prozent weniger Wohnungen fertig geworden als im Vorjahreszeitraum.
Kemal Zeyveli MRICS, Regional Manager von Colliers Berlin, sagt: „Wohnungen in Berlin sind bereits jetzt ein sehr knappes Gut. Mit weiterhin steigenden Bevölkerungszahlen wird sich dessen Verfügbarkeit weiter reduzieren.“ Für die stark regulierten Bestandsmieten prognostizieren die Analysten einen Seitwärtstrend. Bei Neubaumieten in guten bis sehr guten Lagen erwarten sie dagegen einen weiteren Anstieg. Ebenso bei Eigentumswohnungen. Insbesondere für den Neubau in guten bis sehr guten Lagen setzen sie bei Werten von 7. 100 bis 11.500 und 8.700 bis zu 15.000 Euro den Pfeil nach oben.