Engel & Völkers hatte zum Wahlkampfauftakt die Spitzenkandidaten der Berliner Parteien für das Bürgermeisteramt zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Es ging um Enteignung und Mieten und den Senats-Haushalt.
Laut Mietpreisstatistik der Analysten von F+B aus Hamburg sind die Mieten als Nachholeffekt der Pandemie im ersten Halbjahr 2021 wieder schneller gestiegen: im Bestand, aber auch bei Neubauwohnungen – und das bundesweit. Michael Fabricius, Immobilienjournalist bei der Welt, präsentierte als Moderator zum Einstieg in die Podiumsdiskussion „Wohnungspolitik nach der Wahl“ eine Zahl aus dem IBB-Wohnungsmarktbericht: 15,26 Euro betrage die durchschnittliche Neubaumiete in Berlin derzeit, nettokalt pro Quadratmeter. Problem: Für viele Mieter sei das zu teuer.
Zudem befänden sich rund 70 Prozent des Berliner Bestandes in privater Hand. „Viele Mieter sind verängstigt“, fasste er die Stimmung in der Hauptstadt zusammen. Mit Spannung erwarten daher viele den Ausgang des Volksentscheides zur Enteignung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen bei der kommenden Wahl. Wie werden die Parteien in Regierungsverantwortung reagieren, wenn der Volksentscheid eine Mehrheit bekommt?
Auf dem Podium bei Engel & Völkers:
- Franziska Giffey (SPD),
- Kai Wegner (CDU),
- Werner Graf, Berliner Landesvorsitzender Bündnis 90/Grüne, als Vertreter von Bettina Jarasch, und
- Sebastian Czaja (FDP).
Auch Klaus Lederer (LINKE) war eingeladen, er hatte allerdings abgesagt. Der Standpunkt seiner Partei ist klar: Die LINKE unterstützt die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
So stehen die Parteien zu dem Thema Enteignung
Franziska Giffey (SPD): Über Enteignungen könne die soziale Frage in Berlin nicht beantwortet werden. Aber: „Ein Volksentscheid ist immer ernst zu nehmen“, sagte sie und führte dann eine Reihe von Bedenken auf. Das Grundgesetz sehe bei Enteignung eine Entschädigung vor. Die liege für rund 240.000 Wohnungen bei mehr als 30 Milliarden Euro. Die betroffenen Unternehmen würden juristisch gegen eine Enteignung vorgehen. „In dieser Zeit hat man eine Notverwaltung von Wohnungen, über Jahre vielleicht sogar.“ Doch der schwierigste Punkt sei, dass keine einzige neue Wohnung entstünde. Sollte der Volksentscheid zugunsten der Enteignung ausfallen, sei man verpflichtet, eine rechtliche Prüfung vorzunehmen sowie eine Abwägung von Kosten und Nutzen. Es sei zu klären, ob das verfassungsgemäß sei, was da gefordert werde. Es müsse also sehr genau geprüft werden, was davon Bestandskraft habe. „Das muss dann gemacht werden und das Ergebnis ist offen.“
Kai Wegner (CDU): „Sollte der Volksentscheid positiv ausfallen, muss man sich damit ernsthaft auseinandersetzen.“ Bessere Bildung, öffentliche Infrastruktur, Mobilität, das alles werde Geld kosten. „Die Enteignung ist so haushaltswirksam, dass danach nichts mehr geht.“ Es sei deshalb unverantwortlich, sollte der Volksentscheid eine Mehrheit bekommen, das so umzusetzen. Auch wenn die Enteignungsbefürworter wie die LINKE argumentieren, Enteignung sei billiger zu haben oder über einen Schattenhaushalt zu finanzieren: „Am Ende tragen alle Steuerzahler dieser Stadt die Last, dass wir ein paar Wohnungen zurückkaufen. Das ist der falsche Weg.“
Werner Graf (Bündnis90/Grünen): Wie Bettina Jarasch werde auch er bei der Wahl beim Enteignungsvolksentscheid mit Ja stimmen. „Weil wir den Druck brauchen.“ Das Ziel seiner Partei: Rund 50 Prozent aller Wohnungen sollen gemeinwohlorientiert angeboten werden, um so über den Mietspiegel auch die Marktmiete bestimmen zu können. Seine Partei habe deshalb den „Mietenschutzschirm“ für alle Immobilienunternehmen vorgeschlagen, die sich gemeinwohlorientierten Kriterien unterwerfen. Sie werden dafür mit Vorteilen belohnt, etwa die Zuteilung von landeseigenen Erbpachtgrundstücken für den Wohnungsbau. Wenn der Volksentscheid durchgehe, werde man mit den Immobilienanbietern noch einmal verhandeln. „Alle, die sich den gemeinwohlorientierten Kriterien verpflichten, die sollen mit uns einen Vertrag schließen, der rechtlich verbindlich ist.“ Quasi als Abwendung für dieses Volksbegehren.
Sebastian Czaja (FDP) fragte: Druck statt Verhandlung auf Augenhöhe? Für die FDP ist das kein Ansatz. „Wir haben einen Volksentscheid, der darauf aus ist, dass der Steuerzahler mit 36 Milliarden Euro zur Kasse gebeten wird, der Landeshaushalt umfasst 32 Milliarden Euro.“ Von dieser Summe könnten gemäß Mieterverein auch 217.000 neue 73 Quadratmeter große Neubauwohnungen mit Steuergeld gebaut - und damit die soziale Frage über die nächsten zehn Jahre beantwortet werden. „Wir sagen Nein zur Enteignung.“ Am Ende entscheiden die Gerichte. „Wir werden damit ein zweites Mal eine Situation haben, wie wir sie beim Mietendeckel erlebt haben. Absolutes Chaos, keine Verlässlichkeit für die Mieterinnen und Mieter, ein Gegeneinander von Vermietern und Mietern.“