Angela Kreutz vom Architekturbüro blocher partners im Interview über das besondere Konversionsprojekt "Das Wollhaus" in Heilbronn und die daraus entstehenden Möglichkeiten der Stadtentwicklung.
Das Wollhaus in Heilbronn ist ein altehrwürdiges Haus, das seine besten Zeiten erlebt hat. Nun bekommt es ein anderes Antlitz. Ihr Konzept ist eine Mischung aus Neubau und Revitalisierung. Wie sieht das im Detail aus?
Angela Kreutz: Entgegen der von vielen Seiten zu vernehmenden Rufe nach einem Abriss, versuchen wir als Architekten, die verdeckten Potenziale der architektonischen Struktur zu nutzen und kamen in sorgfältigen Untersuchungen zu dem Resümee, dass das Wollhaus eine durchaus erhaltenswerte Basis darstellt. Im ersten Schritt sieht das Konzept einen minimalen Rückbau des Bestandsgebäudes vor, so dass ein Oberlicht für die geplante Mallnutzung entsteht. Im nächsten Schritt werden die Stadtachsen wieder hergestellt und die Eingänge akzentuiert, zusätzlich die Terrassen für die Bürger zugänglich gemacht.
Die angedachte Aufstockung des Turmes sorgt für eine Fernwirkung des Gebäudeteiles, für den eine öffentliche Nutzung im obersten Geschoss mit Dachterrasse angedacht ist. Außerdem soll das Gebäude einen Wohnriegel erhalten, der als Hochpunkt im Süden mit grünen Terrassenwohnungen wertvollen innerstädtischen Wohnraum schafft. Als markantes Gebäude ist ein viergeschossiger Zimmerriegel für ein Hotel neben der Turmgeometrie geplant.
Die obersten zwei Geschosse des Bestandes wird eine großflächige Begrünung schmücken. Die Erweiterung und Neugestaltung des Gebäudes trägt zur Entstehung neuen Stadtraumes bei: Mit attraktiven Fassaden im Erdgeschoss belebt die geplante Mall den Vorplatz mit Busbahnhof und verbindet diesen mit dem Platz im Osten und der Fußgängerzone in der Fleiner Straße.
Das Wollhaus Heilbronn: Konversion eines Einkaufszentrums
Was machte das ‚alte‘ Ensemble aus? Regionale Vertreter der Architektenkammer sprechen ihm jede architektonische Qualität ab ...
Angela Kreutz: Das Ensemble ist ‚ein Kind seiner Zeit‘. Gefeiert 1974 als gelungener städtebaulicher Entwurf, hatte es lange mit seinem Einzelhandelsangebot die Erwartungen erfüllt – ohne Anpassungen. Das heißt, es ist zu einem Innovationsstau gekommen. Jetzt geht es darum, dem Wollhaus ein neues attraktives Gesicht zu geben und dabei die vorhandene bauliche Substanz zu nutzen und neue architektonische Qualität zu schaffen.
Angela Kreutz war mit ihrem Kollegen Benjamin Blocher zu Gast im IMMOBILÉROS-Podcast und sprach hier unter anderem auch über Stadtentwicklung:
Wie nähert man sich architektonisch einer solchen Aufgabe?
Angela Kreutz: Das ist sicherlich unterschiedlich. In Heilbronn haben wir in enger Abstimmung mit der Stadt zunächst ein Nutzungskonzept erarbeitet, das einen Mix verschiedenster sich gegenseitig befruchtender Angebote vorsieht: Neben einem Nahversorger wird es verschiedene Ladenflächen mit Ankermietern geben sowie Wohnen, Hotel und Boarding House. Einziehen werden auch Office, Gesundheit und Fitness-Angebote, außerdem ist eine soziale Nutzung beispielsweise durch eine Kindertagesstätte denkbar. Die Funktionsmischung löst den privaten Raum auf und lässt das Gebäude so wieder zum Bestandteil der Stadt werden. Generell ist es unserer Meinung nach wichtig, Städte und ihr Angebot gesamtheitlich und strategisch zu betrachten.
Die alte Kaufhaus-Immobilie bekommt eine Kuppel für Licht, einen Innenhof. Es heißt ja oft, dass solche Häuser ob ihrer Dunkelheit und den Tiefen sehr schwierig in die Neuzeit zu bringen sind. Liegt das nur an den hohen Kosten oder eignen sich nicht alle Immobilien für eine Transformation in die Neuzeit?
Angela Kreutz: Die Anforderungen auf rechtlicher, wirtschaftlicher und technischer Ebene müssen natürlich geklärt werden. Wenn jedoch die Bausubstanz gut ist, spricht grundsätzlich nichts gegen eine Transformation. Gestalterisch gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Tiefen aufzulösen, Innenhöfe, die den Lärm der Stadt ausblenden, haben ein großes Potenzial. Auch bei der Transformation der ehemaligen Galeria Kaufhof in Mannheim haben wir einen attraktiven Innenhof gestaltet.
Stadtentwicklung: „Mit Pauschallösungen ist es nicht getan“
Für blocher partners ist Innenstadtentwicklung eines der Hauptthemen. Genau diese ist schwierig: Die Pandemie hat die Schwachstellen gut aufgezeigt. Was kann man aus dem Heilbronner Projekt an sich und für andere Städte lernen?
Angela Kreutz: Dass solche Projekte im Sinne der Bürger zu gestalten sind, nicht abgeschottet sein dürfen, sondern als Orte der Begegnung von vielen Seiten zugänglich sein müssen. Sie sollten attraktive Allgemeinflächen haben, nicht nur im Innenbereich, sondern möglichst auch im Außenbereich. So haben wir das Glück in Heilbronn, dass das Gebäude sehr schöne Terrassen hat, die wir für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Grundsätzlich werden wir in den Städten immer weniger monostrukturierte Warenhäuser haben und die Erwartungen an Nachnutzungen in diesen attraktiven Innenstadtlagen sind hoch.
Wir müssen neue Wege einschlagen, um die Attraktivität in den 1A-Lagen zu erhalten – nicht umsonst sprechen wir ja auch immer wieder von der Emotionalität. Zukunftsfähige Projekte schaffen mit multifunktionalen und idealerweise möglichst flexiblen Strukturen die Grundlage. Auf diese Weise kann im Übrigen zudem der Bauherr kurzfristig reagieren, wenn Veränderungen im Markt Modifikationen erfordern.
Gerade Kaufhausimmobilien ähneln sich ja: mit den Rolltreppen, den Raumtiefen, dem fehlenden Licht. Die Zeit der Kaufhäuser scheint vorbei. Kann man pauschal für diese Immobilien Transformationskonzepte überlegen und dann immer „nur“ eine individuelle Note beifügen?
Angela Kreutz: Ich fürchte, mit einer individuellen Note ist es nicht getan und ebenso wenig mit Pauschallösungen. Wir brauchen konzeptionelle Ansätze, die den Bedürfnissen des jeweiligen Standortes entsprechen und müssen solche Immobilien nutzen, um die Stadt zu verdichten. Das erlaubt, Angebote unterzubringen, die keinen wirtschaftlichen Gewinn abwerfen, sondern nur der Attraktivierung dienen. Beispielsweise Räume für Künstler, Vereine und Initiativen oder Start-Ups, die zur für den Handel wichtigen Frequenz beitragen. Vielversprechend ist in jedem Fall ein Mietermix, der Freizeit- und Dienstleistungsangebote berücksichtigt – und das auch jenseits bewährter Konzepte wie Fitnessstudios oder Gastronomie. Boulderwelten sind also ebenso denkbar wie Plattformen für Events und Wissenschaft.