Eine von INDUSTRIA WOHNEN beauftragte und von bulwiengesa umgesetzte Studie zeigt, dass das Wohnsegment gefördertes Wohnen zu einem Investmentmodell geworden ist. Darauf deuten steigende Transaktionszahlen hin. Zudem fallen zinsvergünstigte Darlehen und Zuschüsse in der aktuellen Situation stärker ins Gewicht.
Von 2016 bis 2021 nahmen die Transaktionen im Segment gefördertes Wohnen kontinuierlich zu. Dies geht aus einer von INDUSTRIA in Auftrag gegebenen Studie hervor. Die Assetklasse gibt es erst seit etwa sechs Jahren, so die Experten von bulwiengesa. „In diesem Zeitraum wurden 358 Transaktionen mit 31.000 Wohneinheiten in Neubau und Bestand gezählt“, heißt es in der Analyse. Die Zahl der Stand-Alone-Deals – also ausschließlich gefördertes Wohnen – wächst seit rund zwei Jahren deutlich an.
Weitere Facts zum geförderten Wohnen der vergangenen Jahre aus der INDUSTRIA-Studie:
- Anteil des geförderten Wohnens an allen gehandelten Wohnungen liegt bei rund 24 Prozent (bei Transaktionen größer als 50 Wohneinheiten)
- Berlin ist mit großem Abstand der Hotspot für Transaktionen
- etwa drei Viertel der gehandelten Projekte sind gemischt, etwa 18 Prozent bestehen ausschließlich aus gefördertem Wohnen
- Verkäufer sind im Wesentlichen privatwirtschaftliche Akteure (96 Prozent)
- diversifizierte Käuferstruktur: 62 Prozent der erworbenen Einheiten gingen an private Unternehmen und 37 Prozent an kommunale Unternehmen und Genossenschaften.
INDUSTRIA setzt bereits seit Jahren auf gefördertes Wohnen als Investmentprodukt und hält derzeit knapp 1.900 dieser Wohneinheiten im Bestand. „Von der Anlegerseite her ist ein wachsendes Interesse an diesem Produkt spürbar“, sagt Arnaud Ahlborn, Geschäftsführer von INDUSTRIA. „Für neue Ankäufe für die Wohnfonds haben wir die Sozialquote von bislang durchschnittlich 20 Prozent auf 70 bis 80 Prozent angehoben.“
Kaufpreisfaktoren zwischen dem 35- und 45-fachen der Miete
Das hat vor allem einen finanziellen Grund: Die Zinswende machte diese Investments plötzlich attraktiver. „Die Zuschüsse und zinsvergünstigten Darlehen fallen deutlich mehr ins Gewicht.“ Infolgedessen könne eine Ausschüttungsrendite von etwa 48 Basispunkten über dem frei finanzierten Wohnungsbau erreicht werden, so Arnaud Ahlborn. „Insgesamt kann die Ausschüttungsrendite bis zu vier Prozent betragen.“ Die Kaufpreisfaktoren für geförderte Wohnungen liegen laut bulwiengesa zwischen dem 35- und 45-fachen der Miete, auch wenn hier auf eine eingeschränkte Vergleichbarkeit wegen Zuschüssen und zinsverbilligten Darlehen verwiesen wird.
Laut der bulwiengesa-Studie umfasst die aktuelle Entwicklungspipeline in den 127 ausgewerteten Städten der Datenbank RIWIS 86.000 Sozialwohnungen ab Baujahr 2022. Die meisten Wohnungen entstehen in den Ballungsräumen Berlin (20.600 Wohneinheiten), München (8.200 Wohneinheiten) und Hamburg (5.300 Wohneinheiten). Eigentlich alles gar nicht so schlecht, wären da nicht die von Bundesland zu Bundesland verschiedenen Fördermodelle und Zuschüsse. Das könne dazu führen, dass da gebaut werde, wo die Förderung am besten sei, und nicht da, wo der größte Bedarf bestehe, so bulwiengesa.
Die Forderungen an die Politik lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Vereinheitlichung der Förderlandschaft länderübergreifend
- mehr Möglichkeiten der Skalierung
- mehr Fokus auf serielles Bauen und den Bestand
- konsequente Anwendung von Fehlbelegungsabgaben
- Orientierung der Förderung am Grundstückspreis, da Baukosten deutschlandweit gleich sind
- bei fehlendem Angebot: Wiederaufnahme der Subjektförderung.
Zudem sind die fehlende Flächenverfügbarkeit, lange Planungsprozesse zur Ausweisung neuer Baugebiete und komplexe Genehmigungsprozesse von Baumaßnahmen weitere Herausforderungen.
Wegfall von sozialer Mietbindung sehr hoch
Handlungsbedarf besteht und das nicht erst seit dem Anstieg von Gas- und Ölpreisen und damit der Nebenkosten für viele Mieter. „Statt durch Neubauaktivitäten den Bestand an Sozialwohnungen zu erhöhen, fallen deutschlandweit täglich zahlreiche Wohneinheiten aus der sozialen Mietbindung“ ist in der bulwiengesa-Studie zu lesen. Und weiter: „Zum 31.12.2020 lag der deutschlandweite Bestand an Wohneinheiten mit Miet- und Belegungsbindungen bei knapp 1,13 Millionen und damit rund 24 Prozent unter dem Bestand von 2011. 2021 wurden bundesweit 21.468 neue geförderte Mietwohnungen bewilligt, während für knapp 48.837 Wohneinheiten die Miet- und Belegungsbindungen ausliefen.“
Ein weiterer Fehler ist für Arnaud Ahlborn die Konzentration auf den Neubau: „Geförderter Wohnraum kann im Bestand deutlich günstiger geschaffen werden als im Neubau. Über diesen Weg wird noch viel zu wenig gesprochen.“ Immerhin: Zwischen 2019 und 2021 holte das Bestandssegment deutlich auf, was vor allem an größeren Paketverkäufen lag. Die durchschnittliche Dealgröße: im Neubau im Schnitt rund 69 Wohneinheiten je Transaktion, im Bestand etwa 261 Wohneinheiten pro Verkauf. Die Problematik in ihrer Komplexität könne nur in Gemeinschaftsleistung gelöst werden. „Bund, Länder, Kommunen und private Investoren müssen effizient zusammenarbeiten. Eine Lösung ohne Einbindung von privatem Kapital ist nicht realistisch.“
Für Investitionshorizont von Jahrzehnten
Alle Beteiligten werden sich in naher Zukunft auch einer ESG-Regulatorik verpflichtet fühlen müssen. „Ein wichtiger Treiber bei institutionellen Investoren sind vor allem die ESG- sowie Nachhaltigkeitskriterien, an denen sich die Kapitalanleger immer stärker orientieren. In diesem Zusammenhang rückt das geförderte Wohnen automatisch in den Fokus, da Bezahlbarkeit ein wichtiges soziales Kriterium ist“, schätzt Prof. Dr. Steffen Sebastian von der IREBS International Real Estate Business School ein.
Es gibt aber noch ein anderes Motiv: die große Stabilität der Cashflows. Denn diese komme gerade langfristigen Anlegern wie Versicherungen, Pensionskassen und Versorgungswerken entgegen, die einen Investitionshorizont von Jahrzehnten haben. Durch die Bindungszeiten von bis zu 40 Jahren sind eine große Wertstabilität sowie ein hohes Sicherheitsniveau gegeben, so bulwiengesa. „Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum bietet eine überdurchschnittliche Vermietungssicherheit bei geringem Leerstandsrisiko. Die Fluktuationsrate ist deutlich geringer als bei freifinanzierten Wohnungen. Ebenfalls ist das Risiko einer Fehlkalkulation geringer und der Cashflow ist regelmäßiger sowie prognostizierbarer.“